Javascript DHTML Drop Down Menu Powered by dhtml-menu-builder.com

 

Glanz und Geheimnis der
GARBO

Berlin: Sprungbrett zum Ruhm
·  Ein Tatsachenbericht von Jean Améry  ·

Als Greta Lovisa Gustafsson wird Greta Garbo 1905 in Stockholm geboren. Nach dem Tode ihres Vaters kommt sie zunächst zu einem Friseur in die Lehre, um zum Unterhalt der Familie mit beizutragen. Später wird sie Verkäuferin in einem Warenhaus. Als man einen Katalog herausgibt, wählt man sie als Modell. Sie wird daraufhin für Reklamefilme angeworben, fällt auf, gelangt an die Dramatische Akademie und an das Stockholmer Schauspielhaus, wo der Regisseur Mauritz Stiller sie entdeckt und für seinen Film „Gösta Berling“ engagiert. Die Aufnahmen für diesen Film, der 100 000 Mark kostet, währen vom September 1923 bis zum März 1924.

 

K ö n i g l i c h e r   a l s   d i e   K ö n i g i n :
Als Greta Garbo die Königin Christine verkörperte, stand
sie bereits im Zenit des Ruhms. Keine Filmrolle vorher
oder nachher hat ihr so sehr am Herzen gelegen wie die
Verkörperung ihrer berühmten Landsmännin. Zwar hat
die Königin Christine des Films wenig gemein mit der
zwar geistvollen, aber häßlichen und verwachsenen
Tochter Gustav Adolfs der Geschichte. Der Film brachte
keine geschichtlichen Ereignisse, sondern lediglich eine
erdachte Episode in historischem Gewande. Aber dieser
Vorwurf der Kritik wurde übertönt von der Begeisterung,
die das Spiel der Garbo auslöste, das in jeder Geste
echt und wahrhaft königlich wirkte.
D a s   S c h u l m ä d c h e n   „ K e t a “ :
Greta Garbo, von ihren Mitschülern „Keta“ genannt, als
Zwölfjährige in der Elementarschule in Stockholm. „Sauber
und wohlerzogen, jedoch zu oft abgelenkt und un-
aufmerksam“, lautete damals die Kritik ihrer Lehrerin im
Zeugnis. Nichts deutete darauf hin, daß diesem stillen,
verschlossenen, langaufgeschlossenen Mädchen einmal
eine Welt zu Füßen liegen würde.
D i e   e r s t e   g r o ß e   F i l m r o l l e :
Greta Garbo als Gräfin Ebba Dohna in dem von Mauritz
Stiller inszenierten Film „Gösta Berling“ – „Mauritz Stiller,
der erste, der Vertrauen zu mir hatte, mich die ersten Filmschritte lehrte, mir Selbstsicherheit gab, mir der beste,
gütigste, verständnisvollste Lehrer war, der nur lockerte,
nichts aufzwang“, schrieb Greta Garbo später über diese
Zusammenarbeit, die ihr zum Schicksal werden sollte.
G r e t a   G a r b o   a l s   S c h ü l e r i n
d e r   D r a m a t i s c h e n   A k a d e m i e
mit einer ihrer Kolleginnen. Für Greta (im Bilde links) war
mit der Aufnahme in die Stockholmer Schauspielschule ein
Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. „Ich glaubte, ich
müsste vor Freude sterben, als ich die Nachricht erhielt,
daß ich die Prüfung bestanden hatte“, erzählte sie später
Freunden. Ein außergewöhnliches Talent sah man
allerdings zunächst nicht in ihr. Eine der Lehrerinnen
schrieb über sie: „Greta war ein schönes Mädchen, aber
eine besondere Begabung schien sie nicht zu besitzen.
Das Auffallendste an ihr waren ihre scheinbare Gleich-
gültigkeit und eine gewisse Verlegenheit im Umgang mit
den Mitschülern.“

 

Dies sind Gretas Lehrmonate. Zuerst ist da nichts als eine panische Furcht vor den toten Dingen des Ateliers: Da ist kein Publikum, dem man gefallen an den Mienen ablesen könnte, nur Regisseur und Kameramann, die einen mit Worten kalter Atelierroutine verletzen. Wo soll ein junges Geschöpf die Illusion hernehmen, wenn es bei einer nächtlichen Liebesszene mit dem Liebsten in einen mondbeschienen Weiher blickt, der in Wirklichkeit eine glänzende Blechplatte ist? Greta soll diesen ersten Widerwillen gegen die Atelierarbeit niemals verlieren. Immer wird in ihr eine ungestillte Sehnsucht nach der Bühne brennen.
     Nur die Landschaftsaufnahmen trösten sie: in weißen Schneenächten, im Wintersonnelicht vor alten schwedischen Herrenhöfen, vergisst sie sogar die vernichtende Härte, mit der Stiller sagen kann: „Schlecht, unbrauchbar ...“ Überhaupt Stiller! Ihre erste Begegnung angesichts seiner Person ist Angst. Viele spätere werden Wut heißen. (Ich hasse diesen Menschen, gesteht sie einmal einem Kollegen.) Nur daß noch in Angst und Wut ständig die Faszination sie gefangen hält, daß sie den arbeitsgewaltigen Finnen im Grunde zu bewundern niemals aufhört.
     Nach den ersten Wochen gemeinsamer Arbeit sieht man Greta und ihren Regisseur häufig gemeinsam in Nachtlokalen, wo die etwas schwerfällige schwedische Biederkeit mondän lackiert ist. Greta trägt in diesen Tagen meist ein schwarzes Seidenkleid mit roten Tupfen von etwas kühnem Schnitt, was der sonst betont schlicht Gekleideten reizend und ungewohnt nixenhaft zu Gesicht steht. Sie wird auch sichtlich freier, starrt nicht mehr verhangenen Auges in Meerfernen, wenn man ihr Komplimente macht, und lacht häufig ihr typisches, später filmberühmtes, lautloses Lachen.
     Als die Aufnahmen schon ihrem Ende zugehen, heißt es in Stockholmer Künstlerkreisen, Mauritz Stiller und Greta Gustafsson seien durch mehr verbunden als nur durch Kollegialität. Es kommt noch dazu, daß sie unter seinem Einfluß ihren Kontrakt mit dem Dramatischen Theater bricht, um mit fliegenden Fahnen ins Filmlager überzulaufen. Die Gerüchte verdichten sich vollends, als der Film, der eine unsensationell-freundliche Aufnahme findet, es mit sich bringt, daß ihre beiden Namen in der schwedischen Presse ständig gemeinsam genannt werden.

Berliner Ballade
     Freundliche Aufnahme, sagten wir. Aber das ist nur Stockholm. Und was bedeutet schon Stockholm? Die wirkliche Premiere soll erst stattfinden, als Greta und Stiller sich unter unbe-schreiblichem Jubel eines festlich erregten, elegant-intellektuellen Publikums im Berliner Mozart-saalkino Hand in Hand verneigen.
     Schon seit dem späten neunzehnten Jahrhundert ist Berlin die Kulturmetropole der Skandinavier. Ob Brandes, Ibsen, Herman Bang oder Hamsun: der Berliner Erfolg war für sie der Erfolg schlechthin. Und dies ist nun das taumelnde, brodelnde Berlin von 1924, das aus der Inflation erwacht. In tausend Lichtern glitzert der Kurfürstendamm. An den Bühnen versuchen Oiscator und Jeßner ihre phantastischen Experimente. Alfred Kerr spricht von seinem Orchestersessel aus das Machtwort der Dramaturgie. Murnau, Lang, Paul Wegener drehen expressionistische Filme. Aus dem Asphalt, der den märkischen Sand verdeckt, treiben seltsame und berauschende Kulturblüten.
     Greta ist betäubt. Freilich: der Ruhm des „Gösta Berling“ ist vorläufig noch nicht der ihre, sondern gehört Stiller. Aber Stiller drängt sie an die Rampe der Öffentlichkeit, schleppt sie mit seiner Manager-Brutalität ins Scherl-Haus, in dessen sechsten Stock ihr erstes deutsches Propaganda-Photo gemacht wird, erwirkt Einladungen bei Gesandten und Inflationsmillionären, zwingt sie, die es liebt, um halb elf Uhr zu Bett zu gehen, bis drei Uhr morgens in Nachtlokale, stell sie Redakteuren, Theaterleuten und Malern vor, verschmäht es nicht, stundenlang ihretwegen mit Schneiderinnen zu konferieren. „Werden wir zur Ruhe kommen?“ fragt sie manchmal atemlos. „Kind“, antwortet er, „so wird eben ein Star gemacht ...“
     Dann und wann gibt es anmutige Unterbrechungen im rasenden Furioso ihrer Berliner Ballade: Ausflüge an die föhrenumstandenen Havelseen, Bootfahrten ins blühende Werder, Wanderungen durch silberne Birkenwälder.
     Der „Gösta Berling“ hat den Produzenten einen Millionengewinn gebracht. Deutsche Finanziers meinen, daß man es auch mit diesem Teufelskerl von Stiller versuchen müsse. Eine Gesellschaft namens „Trianon-Film“ bildet sich. Stiller will den ihm gebotenen glänzenden Kontrakt schon annehmen – sofern man seinen, wie er sagt „ersten Star“, Fräulein Greta Garbo, gleichfalls beschäftigt. Die Geldleute lächeln gönnerhaft: „Natürlich, warum nicht?“ Und Greta Garbo wird gleichfalls der „Trianon“ verpflichtet.

Idyll in Konstantinopel
     Es geht weit fort. Hinunter in die Türkei, wo Stiller einen Abenteuerfilm drehen will. Er hat grandiose, wenn auch reichlich vage Ideen: Brennende Moscheen, Automobiljagden am Bosporus; tausend Landeseinwohner sollen in folkloristischen Kostümen mitwirken. Irgend so etwas, wie es drüben, überm Ozean, der Kollege Cecil B. De Mille fertig bringt, schwebt ihm vor. Das Szenario, freilich, ist nicht völlig fertig. Macht nichts, drängen die Millionen-Jongleure, reisen Sie, wir vertrauen Ihnen ...
     Stiller spart nicht mit dem Gelde seiner Auftraggeber. Zwei Privatautomobile werden angeschafft, dazu Lastwagen, Requisiten. Eine ganze Expedition rüstet er aus. Niemand von seinen Leuten, die er teils aus Berlin, teils aus Schweden kommen läßt, wagt zu fragen, ob das Unternehmen einen solchen Spesenaufwand auch vertrage. Man lebt, probt, flaniert und flirtet drauf los, als sei alles Finanzielle nur muffige Philisterei.
     Das Debakel beginnt, als die Behörden Kemal Atatürks es plötzlich den Stiller-Leuten verbieten, in Moscheen und vor den Gotteshäusern zu filmen. Es wird Alarm gegeben: Die „Trianon-Film“ stellt die Zahlungen ein. Stiller wird in einer Mondnacht in einer griechischen Kneipe, wo er mit Greta zu soupieren pflegte, von seinen Mitarbeitern buchstäblich überfallen. Man fordert Abrechnung, man will heim, hat genug von dem Abenteuer. Der Regisseur-Produzent muß gestehen, daß er nicht einmal mehr das Geld für die Heimfahrt seiner Leute aufbringen kann.
     In diesen Stunden zeigt Greta eine erstaunliche Ruhe und eine sie durch das Leben geleitende Festigkeit in Geldfragen. Sie ist es, die vorschlägt, daß man sich an das schwedische Konsulat um Hilfeleistung wenden müsse, sie rechnet Stiller vor, wie man, wenn man nur dritter Klasse fährt, sehr wohl noch einen Weg finden könne. Das fleißige, sparsame, an bedrängte Geldverhältnisse gewöhnte Kleinbürgermädchen aus Stockholm ist der Situation besser gewachsen als der künstlerische Visionär.
     Als Greta Garbo und Mauritz Stiller wieder in Berlin auftauchen, werden sie allgemein als ein „Paar“ betrachtet. Wenn Greta von Agenten im Hotel Esplando angerufen wird, dann ist es Stiller, der an den Apparat kommt. Gemeinsam sitzen sie an warmen Vormittagen auf den Terrassen der Kurfürstendamm-Cafés, gemeinsam besuchen sie Theater, Ausstellungen, Filmpremieren. „Wollen Sie Mauritz Stiller, dann müssen Sie seine blonde Elfe mitschleppen, wollen Sie diese, dann müssen Sie Stiller engagieren“, brummen die Produzenten und Vermittler unmutig.

„Freudlose Gasse“ als Straße zum Ruhm
     Der Fall, daß man Greta „will“ und ohne Stiller auskommen möchte, ereignet sich früher, als die meisten dachten. G. W. Pabst, der Repräsentations-Intellektuelle des deutschen Films, ein sauberer Arbeiter und tapferer Pionier, hat in einem Wiener Kino den „Gösta Berling“ gesehen. Als er einmal mit Richard Eichberg, dem urberlinerischen Meister des anspruchslosen Unterhaltungsfilms, im Romanischen Café in Berlin sitzt, sagt ihm der: „Da haben se mir so ’ne ätherische Schwedin andrehen wollen; nee, bei mir nischt zu machen! Ick halt mir an die Ondra, da is doch Pfeffer drin ...“ Pabst geht auf das Thema nicht weiter ein, verlangt nur die Adresse der „ätherischen Schwedin“. Zwei Tage später findet die erste Unterredung zwischen ihm, Greta und Stiller statt.
     Es handelt sich um die Verfilmung des Romanes „Die freudlose Gasse“ von dem Wiener Schriftsteller Hugo Bettauer einen Inflationsroman. Pabst hat bereits eine andere Nordländerin engagiert, die damals im Zenith des Ruhmes steht: Asta Nielsen. Als ihre Gegenspielerin sucht er ein zartes Geschöpf, dessen Naivität nicht verlogen wirken darf. Die Probeaufnahmen werden angesetzt.
     Der Kameramann erklärt Pabst, daß „dieses Mädchen nervöse Gesichtszuckungen habe“ und daß man die Kamera erheblich schneller drehen müsse, um brauchbare Bildfolgen zu erhalten. Dennoch bleibt der spätere Klassiker des Films, Schöpfer der unvergreßlichen Dreigroschenoper, dabei, daß diese kaum filmisch „eingeschliffene“ Frau mit den unwahrscheinlich langen Wimpern, der Kargheit ihrer Gesten und dem irrenden Auge nicht nur eine große Tragödin, sondern ein neues Schönheitsideal schlechthin sei. Der Film, der den Stil des verlorenen Realismus, wie er zwischen 1936 und 1940 herrschte, vorwegnimmt – Mädchen an Laternen gelehnt, schlüpfrige Gassen im Gaslicht, verdächtige Kaschemmen – wird mit Greta Garbo gedreht. Der Erfolg ist „ehrenvoll“, nicht mehr.
     Dennoch soll diese „freudlose Gasse“ für Greta die Straße zum Ruhme werden. In den tagen nämlich, da der Film in Berliner Premierekinos läuft, befindet sich in der deutschen Hauptstadt ein Amerikaner auf Talentsuche, ein großer, geläufig deutsch sprechender dunkelhaariger Herr mit offensichtlich finanziellem Hintergrund. Sein Name ist Louis B. Mayer. Das ist noch nicht der große Herr von Hollywood des Jahres 1952, der alle überragt and wirtschaftlicher Macht, Produktionserfahrung und unfehlbarem Film-Instinkt. Aber das ist bereits ein Herr, der es sich leisten kann, für seine Firma den europäischen Produzenten nach Belieben Talente wegzukaufen, einer der Hellhörigen, der genau spürt, daß in der Publikumsgunst große Wandlungen im Gange sind, daß endgültig die Zeit des „Kintopp“ zu Ende ist und eine Epoche des dramatischen Films beginnt, für die man andere Menschentypen braucht als grinsende sonny boys und schmollende girls. Er sieht die „Freudlose Gasse“ und den „Gösta Berling“. Greta und Stiller interessieren ihn beide, aber der Regisseur überzeugt ihn stärker als die Schauspielerin.
     Louis B. Mayer, einstiger Kaufmann aus Minsk, Weltmann größten Stils, ist der vollkommene Typ des Hollywooder self-made-man. Da ist keine kulturelle Belastung, noch künstlerischer Traum. Da ist nur das sichere Wissen um das, was heute gefällt und morgen gefallen wird – und die Meisterschaft, die unklaren Wünsche des Publikums in klaren Ziffern zu schauen. man ist loyal, zahlt die Gagen, von denen man meint, daß ihr Bezieher sie „wert“ sind. Man bietet also auch für den Finnen und der Schwedin, die beide kein Englisch sprechen, anständige Verträge, wiewohl man meint – und dies ausspricht – daß Hollywood eigentlich ja „genügend junge, hübsche Mädchen“ habe.
     Stiller, der ewige Sucher und Abenteurer der Leinwand, drängt Greta zur Unterschrift. „Ich habe Angst“, sagt sie mehrmals, fast beschwörend. „Du? Angst?“, meint Stiller, „die dort drüben müssen vor dir Angst haben!“ Dann setzt sie schließlich zögernd ihren Namen unter den Vertrag, schreibt mit genauen, sauberen Schulbuchstaben: Greta Gustafsson-Garbo.

(Fortsetzung folgt)

Copyright by Presse-Agentur L. Dukas, Zürich

 

D e r   T o n f i l m   k o n n t e
i h r   n i c h t s   a n h a b e n :
Für viele große Stars der Stummfilmzeit bedeutete das
Aufkommen des Tonfilms das Ende ihrer Karriere. Greta
Garbo ging strahlender den je aus dieser Krise hervor.
Ihre dunkle, etwas heisere Stimme erhöhte nicht den
Reiz ihrer Persönlichkeit. In „Mata Hari“, der Verfilmung
des Schicksals einer der berühmtesten Spioninnen des
ersten Weltkrieges, spielte sie mit Ramon Novarro, der
Rudolf Valentinos Nachfolge als „schöner Mann“ des
Films angetreten hatte. Greta Garbos Lieblingspartner
John Gilbert war ein Opfer des Tonfilms geworden.
Aufnahme MGM

 
 
  
Part I
Part III
  

 

from:   Frankfurter Illustrierte        9. November 1952 * Nr. 45
© Copyright by   Frankfurter Illustrierte

 

 

English Press Article
  
  
Back to Menue                             German Press Article
  
 
International Press Article
  

 

... nach oben

© Copyright 2005 – www.GarboForever.com – Germany – TJ & John – The Webmasters