Greta Garbo
Aufnahme aus dem Jahre 1925
Binder, Berlin
IV.
“Gösta Berling –Aus Greta Gustafsson
wird Greta Garbo – Die Garbo in Berlin –
Mißglückte Filmexpedition nach Konstanti-
nopel – „Die freudlose Gasse“ – Vertrag
nach Hollywood
Es spricht für den künstlerischen Ernst, mit dem Greta ihre Filmarbeit begann, daß sie zuerst den Roman „Gösta Berling“ eingehend studierte, ehe die Atelierarbeit rief. Sie vertiefte sich in den Charakter der jungen Gräfin Dohna und sah auch bereits im Geiste die dramatischen Szenen voraus, die sie mit ihren Gegenspielern hatte. Da ihr bis zum Beginn der Aufnahmen noch einige Wochen Zeit blieben, so besuchte Greta an freien Abenden die Lichtspieltheater, um möglichst viel Eindrücke vom Film in sich aufnehmen zu können, denn in den letzten Jahren war sie wenig im Kino gewesen.
Die Arbeit im Atelier brachte manche Enttäuschung. Greta fand die Räume, in denen das Werk gedreht wurde, genau so stillos wie diese in der Zeit ihrer Filmarbeit mit Hauptmann Ring gewesen waren. Noch immer herrschte ein Durcheinander von fertigen Bauten, halbabgerissenen Szenen, Podesten mit Kulissenwänden, Versatzstücken – man stolperte über Lichtkabel, rannte an Scheinwerfer und war eingehüllt vom Lärm der Arbeit an neuen Dekorationen. Es mußte immer erst um Ruhe gebrüllt werden; und Greta Garbo erlebte, daß kräftiges Gebrüll unweigerlich mit der Aufnahme eines stummen Films verbunden war. Da war es mitunter nicht einfach, die rechte Stimmung in sich zu erzeugen und nicht zu verzagen, wenn ein Ausdruck, wie ihn der Spielleiter haben wollte, erst nach vielmaligem Versuch gelingen wollte.
Greta hatte von Anfang an allen Szenen des Filmes beigewohnt, auch solchen, in denen sie nicht beschäftigt war, aber sie wollte die notwendige Sicherheit vor der Kamera so schnell als möglich erwerben, denn ein Rest von Schüchternheit verursachte ihr mitunter heftiges Lampenfieber, und zwar namentlich dann, wenn sie einem besonderen Gefühl, das sie in sich verspürte, lebhaften Ausdruck geben wollte.
Über manche Verlegenheit halfen ihr Lars Hanson, Karin Molander und namentlich die berühmte Tragödin Gerda Lundequist-Dahlström hinweg. Greta bewunderte die Kunst der letzten, die mit einem geringen Aufwand von Gebärden die größten dramatischen Wirkungen vollbrachte. Unter der Leitung des Regisseurs Stiller wuchs Greta in ihre Aufgabe hinein. Ihr Ernst und ihr Eifer fanden allseitige Anerkennung, und die berühmten Arbeitskameraden behandelten sie nicht als Anfängerin, die sie ja eigentlich noch war. Freilich ahnte noch keiner der Mitspieler Gretas, daß sie in nicht zu ferner Zeit als einer der hellsten Sterne am Filmfirmament aufleuchten werde.
Einige Hemmungen, die Greta im Atelier schwer überwand, stellten sich merkwürdigerweise nicht ein , sobald Freiaufnahmen gedreht wurden Dann fielen die störenden Geräusche fort, die Natur spielte mit und half die Illusion der Szene vollenden. Da in jenen Jahren Landschaftsbauten im Atelier noch nicht errichtet wurden – die Räume in Rasunda waren viel zu klein, der Lampenpark nicht ausreichend –, so gingen die Landschaftsaufnahmen für „Gösta Berling“ wirklich im Freien vonstatten. Mit den Winterbildern mußte gewartet werden, bis die Natur soweit war, den Schmuck des Schnees anzulegen. Den Schweden schien ein Atelierwinter aus Gips, Salz und Marmorstaub, wie ihn Hollywood hervorzauberte, nicht stimmungsgebend. So zogen sich die Aufnahmen über ein halbes Jahr hin, in denen Greta zuerst noch am „Dramatischen Theater“ tätig war, bis die Häufung der Aufnahmen ihre Bühnentätigkeit lahm legte. Der Schnitt des Films wurde so beschleunigt, daß der Film bald nach dem letzten Drehtag vorgeführt werden konnte. Er errang unbestrittenen Erfolg.
Aus „GÖSTA BERLING“ |
Neben den bekannten Künstlern, von denen namentlich Lars Hanson in der Titelrolle gefeiert wurde, stand ein junges, den meisten Zuschauern unbekanntes Talent, die Darstellerin der Gräfin Dohna, die den Namen Greta Garbo trug. Stiller gemeinst, für den internationalen Erfolg, auf den der Film angewiesen war sei der Familienname Gustafsson nicht packend genug. Er schlug neben anderen, besser klingenden Namen schließlich Garborg vor, nach dem berühmten norwegischen Romanschriftsteller Arne Garborg. Da dieser Name in Schweden ungefähr wie Garbo ausgesprochen wird, so blieb es schließlich bei der Schreibart der Aussprache. Dieser Name hatte den Vorteil, daß er in allen Sprachen der Welt gleich ausgesprochen wird – und Greta ist unter ihm ja auch weltberühmt geworden.
Aber der Erfolg eines Filmes in Schweden war nicht maßgebend. Die Filmstadt Berlin war es, die schon damals einem Film internationale Bedeutung verschaffte, wie denn der Ruhm aller Schwedenfilme von Berlin ausgegangen ist. „Gösta Berling“ ein großer zweiteiliger Film, wurde rasch nach Berlin verkauft, und zur Uraufführung des Werkes fuhr Mauritz Stiller mit Gerda Lundequist-Dahlström und Greta Garbo nach Berlin. Die Zuschauer liebten es, die Hauptdarsteller am Abend der Premiere persönlich begrüßen zu können. Lars Hanson war leider erkrankt und konnte Stockholm nicht verlassen.
Es war Gretas erste große Reise, und sie trat sie mit einiger Beklommenheit an. Die Inflationszeit, von der in Schweden soviel gesprochen worden war und die nicht wenig Schweden zu mehr als wohlfeilen Einkäufen nach Berlin gelockt hatte, war in Deutschland eben vorbei. Die Reisenden beratschlagten, ob sie nicht Proviant mit nach Berlin nehmen sollten, und Mutter Gustafsson, die allerlei Geschichten gehört hatte, packte ihrer Greta heimlich etwas Schiffszwieback in den Koffer ... für alle Fälle!
Im Sommer 1924 war der Film noch das Stiefkind der meisten Zeitungen. Diese Behauptung wird der jetzigen Generation der Filmfreunde unwahrscheinlich vorkommen, und doch war es so. Von den Tageszeitungen widmete nur das „Filmecho“ des „Berliner Lokal-Anzeigers“ dem Film größere Aufsätze und eingehende Besprechungen. Daher machte Stiller mit seinen Darstellerinnen bei der Schriftleitung dieses Blattes im Scherlhaus einen Besuch, der sich zwei Stunden lang ausdehnte. Zwei Stunden, in denen sich Greta Garbo wahrscheinlich herzlich gelangweilt hat. Denn während Stiller und Gerda Lundequist sehr gut Deutsch sprachen – mit einem reizenden schwedischen Akzent – und über die deutsche Bühne und ihre Künstler genau Bescheid wußten (Frau Lundequist erkundigte sich eingehend nach Ida Wüst), verstand Greta Garbo nur Schwedisch. Sie saß etwas verlegen und ein wenig gedrückt in unserem Redaktionszimmer, verbarg ihre Langeweile hinter öfterem Lachen und rauchte hin und wieder eine Zigarette. Ihre Kleidung war recht anspruchslos, denn um die schwedischen Filmfinanzen stand es schlimm. „Gösta Berling“ hatte viel mehr Geld als vorgesehen gekostet, und die Reise nach Berlin war eine große Ausgabe gewesen.
Mit dieser Reise war noch ein anderer Zweck verbunden, nämlich in Berling für den Bedarf von Filmeuropa zu arbeiten, weil es nicht mehr möglich war, Filme herzustellen, die in dem kleinen Schweden den Betrag wieder hereinbrachten.
Die Uraufführung von „Gösta Berling“ Lag eigentlich ungünstig, denn die eigentliche Spielzeit der Kinos hatte noch nicht begonnen, aber der Film fand bei der Presse und den Zuschauern großen Erfolg. Auch Greta Garbo fand viel Anerkennung für ihre großartige Leistung, die namentlich im zweiten Teil den Beifall der Zuschauer in starkem Maße hervorrief. Es gelang dem Spielleiter Stiller auch, eine Firma zu finden, die sich zur Herstellung eines Filmes unter seiner Leitung bereiterklärte. Gerda Lundequist-Dahlström, die am Königlichen Theater Stockholms beschäftigt war, konnte nicht abkommen. Aber Stiller hatte die Bedingung gestellt, die Hauptrollen seines neuen Filmes mit schwedischen Künstlern zu besetzen. Außer Greta Garbo engagierte er den jungen und sehr begabten Einar Hansson.
Der neue Film sollte in Konstantinopel spielen, die Schicksale einer von den Bolschewisten geflohenen russischen Familie behandeln, und in den Außenaufnahmen auch am Bosporus gedreht werden. Greta, die gleich nach der Premiere Berlin verlassen hatte, wurde telegraphisch zurückgerufen. Zwei Tage nach ihrem Eintreffen fuhr die aus Stiller, Greta, Einar und zwei Kameraleuten bestehende Expedition ab. Es war eine Fahrt ins Unglück.
In Konstantinopel herrschte politische Hochspannung. Sowjetrußland hatte die Dardanellenfrage aufgeworfen und dadurch sämtliche Staaten des Mittelmeeres mobilisiert. Alle dunklen Elemente der Levante hofften, in der Stadt am Bosporus einen Fischzug im Trüben machen zu können und boten nach allen Seiten ihre Dienste an. Die türkische Regierung sah sich zu scharfen Abwehrmaßnahmen gezwungen; sie wollte keine Fremden in ihrer Hauptstadt dulden. So sah die Situation aus, als Stiller mit seinen Künstlern eintraf.
Er wurde besonders schwer getroffen, denn unter den Verlobten, mit denen die türkische Regierung den zahllosen Spionen das Handwerk zu erschweren suchte, befand sich auch diese, daß es unter Androhung schwerer Kerkerstrafen verboten war, in der Stadt und deren Umgebung zu photographieren. In Stillers Gepäck wurden von der Zollbehörde zuerst die Kameras beschlagnahmt. Da eine Berliner Filmgesellschaft die Expedition ausgerüstet hatte, waren lange Telefongespräche mit den Berliner Amtsstellen notwendig, um das Gepäck freizubekommen. Dann suchte Stiller durch Vermittlung der schwedischen Gesandtschaft die Erlaubnis zu erwirken, im Beisein türkischer Gendarmen seine Spielszenen in den Straßen Konstantinopels drehen zu dürfen. Aber die Künstler erfuhr schnell, daß sie im Orient waren, wo über den Begriff Zeit andere Ansichten als im europäischen Norden herrschten. Man suchte die Angelegenheit zu verschleppen. Endlich durfte in einer Vorstadt ein Schafstall als provisorisches Atelier gemietet werden. Aber es kam nicht zu Aufnahmen. Ein Kameramann wurde als Spion verhaftet, aber bald wieder freigelassen.
Greta wagte es nur in Begleitung von Einar Hansson auszugehen, denn sie war bei einem einsamen Spaziergang von einigen zweifelhaften Kavalieren für eine jener Abenteurerinnen gehalten worden, die damals das Pflaster der Stadt unsicher machten, und insultiert worden. Aber Einar Hansson landete regelmäßig in einer griechischen Weinstube und war kaum der richtige Begleiter für Greta, die been ihre Kinderschuhe ausgetreten hatte. Außerdem war Hansson von haltloser Gutmütigkeit und ließ sich von Schmarotzern aller Art das Geld abbetteln, so daß er jeden Tag um Vorschuß bitten mußte. Dabei litt Stiller bereits selbst unter fühlbarem Geldmangel. Der Aufenthalt in Konstantinopel war für Fremde sehr teuer. Er hatte nur drei Wochen bleiben wollen und saß nun schon mehr als einen Monat herum, ohne mit der Arbeit begonnen zu haben, und rieb seine Kräfte in nutzlosen Konferenzen mit den Vertretern der türkischen Behörden auf.
Aber noch böser war, daß die Filmgesellschaft in Berlin, eine jener Gründungen, die in der Inflationszeit mit inflatorischen Mitteln ins Leben gerufen worden waren, ebenfalls auf dem Trockenen saß und kein Geld schicken konnte. Stiller mußte die Hotelrechnungen schuldig bleiben und mit ansehen, wie sein technisches Rüstzeug mit Beschlag belegt wurde. Seine Telegramme wurden von Berlin aus nicht beantwortet; die Firma, die schon längst zahlungsunfähig war, suchte diesen Umstand zu verschleiern. Unter so trüben Verhältnissen nahte der Dezember, der auch am Bosporus kalt und unfreundlich ist. Stiller wußte weder ein noch aus. Schließlich besorgte er sich von seinem Konsul das Geld für eine Reise nach Berlin und ließ Greta und Einar Hansson allein zurück.
Das Weihnachtsfest verlief sehr traurig. „Ich war in den Weihnachtstagen vollkommen verlassen“, sagte Greta in Erinnerungen an diese trüben Stunden. „Einar Hansson ließ sich selten sehen. Außerdem war er kein starker Mensch und hatte genug mit sich selbst zu tun. Zweimal war ich auf der Gesandtschaft eingeladen, aber ich fühlte mich auch dort fremd, und so zog ich es schließlich vor, allein zu bleiben. Am Weihnachtsabend kamen mehrere Briefe von meinen Angehörigen. Ich bekam Sehnsucht nach Schweden und weinte wie ein Kind.“
In den ersten Januartagen kehrte Stiller nach Konstantinopel zurück. Er, der sonst von einer sprühenden Lebendigkeit war, erschien als müder, geschlagener Mann. Die Filmfirma in Berlin hatte falliert; die Expedition wußte nicht, wie sie aus Konstantinopel herauskommen und die Schulden decken sollte. Mit Hilfe schwedischer Freunde gelang es, die kostbaren Apparate frei zu bekommen, und die Künstler konnten das ungastliche Konstantinopel verlassen. Aber da mit dem Gelde gegeizt werden mußte, kehrten sie in Bummelzügen durch den Balkan nach Berlin zurück. Greta wäre am liebsten nach Schweden zurückgefahren, aber Stiller stellte ihr vor, daß sie die Kameraden nicht verlassen dürfe. Er sagte ihr, daß es Schauspielerin zu allen Zeiten ähnlich gegangen wäre; selbst die Duse war bei einigen Gastspielen mit leeren Kassen zurückgekehrt. Berlin war die große Hoffnung.
Aber in Berlin hatten sich in einem Jahre die Verhältnisse grundlegend geändert. Gleich nach dem Ende der Inflation war der deutsche Filmmarkt mit amerikanischen Filmen überschwemmt worden, die in das Programm eine sensationelle Note brachten. Für die stille Kunst der Schweden war im Augenblick kein Raum, zumal die Provinz für schwedische Filme nicht mehr aufnahmebereit erschien. Niemand wollte Stiller mit der Spielleitung eines Filmes betrauen, zumal es hieß, daß er sehr teuer arbeite. Aber er hatte ha nicht nur für sich zu sorgen, sondern die Gagen an Greta und Einar auszuzahlen. Denn er hatte, ehe er das Engagement der Trianon annahm, einen Vertrag mit beiden geschlossen, worin ihnen die Gage durch Stiller garantiert wurde. Er wollte nicht, daß die geschäftliche Unkenntnis der beiden ausgenutzt werden sollte.
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