Molander ließ die Schüler von ihm geleiteten Anstalt an den Proben seiner Filme teilnehmen. Aber nur als Zuschauer, denn er wollte, daß sie sehen sollten, wie eine Einstudierung im Ernstfall vor sich ging. Er ließ sie aber nicht mitwirken, denn die Schüler sollten nicht frühreif werden, sondern erst einmal gründlich lernen. Der gleichen Ansicht war seine Gattin Karin Molander, die an der Lehranstalt den Sprechunterricht erteilte und die auch mit Atemübungen und sonstigen Hilfsmitteln der Sprechtechnik begann, ehe sie zur Einstudierung der Rollen schritt. – An allen diesen Übungen nahm Greta zwei Jahre teil. Sie ist also die völlig ausgebildete Bühnenkünstlerin gewesen, ehe sie sich dem Film verschrieb. Unter den Mitschülerinnen traf sie eine alte Jugendfreundin, Mona Märtensson, wieder, an die sie sich eng anschloß. Außerdem schloß sie noch Freundschaft mit Karin Lund, einer bald nach den Schuljahren verstorbenen zarten jungen Frau, deren Namen Greta als Inkognito zu benutzen pflegt. Auch zu Karin Molander trat sie in freundschaftliche Beziehungen und weilte of in deren schönem Heim zum Tee. An einem dieser Gesellschaftsabende lernet sie die junge Komtesse Wachtmeister kennen (von dem aus Thüringen stammenden Geschlecht der Wachtmeisters war eine Linie durch Gustav Adolf nach Schweden gelangt), die bei Frau Molander Privatunterricht nahm. Die Komtesse Wachtmeister ist bis heute Gretas beste Freundin geblieben und hat sie wiederholt in Hollywood aufgesucht, sie auch auf ihren Reisen durch Europa begleitet.
Als nach zwei Jahren die Abschlussprüfung der „Dramatischen Lehranstalt“ kam, wurde der Gruppe, zu der Greta gehörte, ein Akt der „Frau vom Meer“ Ibsens, worin Greta als Frau Elida Wangel erschien, sowie der Einakter „Abschiedssouper“ mit Greta als Mizzi, einstudiert. Auf Grund der Leistung – sie hatte in beiden Rollen gut gefallen – erhielt sie ein Engagement an das „Dramatische Theater“ zu Stockholm. Sie wurde ohne besonderes Rollenfach eingestellt und erhielt eine Anfangsgage von 120 Kronen im Monat, wofür sie aber alle Bühnenkostüme selbst zu stellen hatte.
Das „Dramatische Theater“ war eine kleine Bühne, deren Leiter den größten künstlerischen Ehrgeiz besaß. Seine Darsteller mußten alles können, und es machte ihm Freude, ihnen die verschiedensten Aufgaben anzuvertrauen. So gab er Greta, nachdem sie in winzigen Episoden die notwendige Bühnensicherheit gewonnen hatte, die schwierige Rolle der Amme in Strindbergs „Vater“ und ließ sie bald danach die Hermoine in Shakespeares „Wintermärchen“ darstellen. Die nordischen Bühnen kennen keine Repertoirestücke, die wochenlang auf dem Spielplan bleiben, sondern wechseln den Spielplan an jedem Abend. Greta mußte daher sehr fleißiges Rollenstudium treiben. Merkwürdigerweise trat sie am „Dramatischen Theater“ nur ganz selten in den Rollen der Liebhaberin auf; der Leiter der Bühne war der Meinung, daß sie eine ausgezeichnete Charakterdarstellerin wäre, und so zeigte er sie seinem anspruchsvollen Publikum vielfach in Aufgaben, die von ihr Verwandlungen in ein höheres Lebensalter verlangten. Greta hat auf dieser Bühne mehr als eine Greisin dargestellt. Aber gerade in solchen schwierigen Partien gefiel sie den Zuschauern und erhielt Beifall, wobei zu bemerken ist, daß die schwedischen Zuschauer in den Bekundungen des Beifalls spärlicher vorgehen, als es in den Theatern anderer Länder der Fall zu sein pflegt. – Nach einem Jahr erhielt Greta einen Vertrag, der etwas günstiger lautete. Sie wollte sich gerade mit einigen Künstlerin dieser Bühne zu einem Gastspiel durch die schwedische Provinz entschleißen, als sie von dem Filmregisseur Mauritz Stiller ein Telegramm empfing, das die kurze Mitteilung enthielt: „Unternehmen Sie nichts für den Sommer“.
Greta Garbo in
„Gösta Berling“
Filmweltarchiv
Zum Verständnis dieses Telegramms muß nachgeholt werden, daß Greta ein Vierteljahr zuvor den berühmten Filmspielleiter aufgesucht und mit ihm eine Unterredung gehabt hatte. Bei einer Abendgesellschaft, die Karin Molander gab, erschien auch ihr Gatte und erzählte, daß Mauritz Stiller einen großen mehrteiligen Film nach dem berühmten Roman „Gösta Berling“ von Selma Lagerlöf plane. Er sei aber bei der Besetzung der Rollen in Schwierigkeiten geraten. Den Gösta Berling werde wahrscheinlich Lars Hanson spielen, die Majorin gebe Gerda Lundequist-Dahlström, aber für die junge Gräfin Dohna sei noch keine geeignete Darstellerin zu finden gewesen, denn Tora Teje, die bisher in den Stiller-Filmen die Hauptrollen gespielt habe, sei dafür zu alt, und Mary Johnson, eine andere Entdeckung Stillers, habe eben mit Deutschland abgeschlossen. Molander blickte Greta bei diesen Worten so frappant an, daß jeder in der Gesellschaft erriet, daß er in Greta die Vertreterin der Rolle zu sehen meinte. Greta errötete, denn sie hatte seit Jahren nicht mehr vor der Kamera gestanden.
Nach diesem Gesellschaftsabend verstrichen einige Wochen, ohne daß Greta etwas von dem Film hörte. Da beschloß sie, Stiller aufzusuchen und ihn zu fragen, ob er für sie Verwendung habe. Man muß sehr jung sein, wenn man einen solchen Schritt unternehmen will, der leicht mit einer Abweisung enden kann. Sie wollte erst Karin Molander bitten, ein gutes Wort bei Stiller für sie einzulegen, kam aber dann zu dem Entschluß, den Schritt selbst zu wagen und allen Mut aufzubringen, dem als recht unzugängig bekannten Spielleiter zu begegnen.
„Ich weiß heute noch nicht“ hat Greta später gesagt, „wie ich es fertig brachte, meine Schüchternheit zu überwinden und Stiller in seiner Wohnung aufzusuchen. Ich traf ihn nicht an. Aber da ich den Schritt nun einmal unternommen hatte, wollte ich nicht ohne Ergebnis heimkehren; ich ließ mich nicht abschrecken, sonder wartete seine Rückkehr ab. Meine Geduld wurde einer harten Probe unterworfen, denn es dauerte einige Stunden, bis er in Begleitung eines großen Hundes zurückkehrte. Er schien von meiner Anwesenheit unangenehm berührt zu sein, blickte mich streng und unliebenswürdig an, so daß ich zu zittern begann. Wortlos musterte er mich vom Kopf bis zum Fuß. Sein Blick muß sehr eindringlich gewesen sein, denn noch später wußte er ganz genau, wie ich bei dem ersten Besuch gekleidet gewesen war. Er konnte sogar die Farbe der Strümpfe und Schuhe angeben, wußte auch, daß ich ein Kleid mit kleinen grünen Knöpfen getragen hatte. Einen dieser Knöpfe drehte ich in stummer Verzweiflung ab und behielt in, ohne es zu wissen, in der Hand. Dieser Knopf ist eine Art Talisman bei mir geworden. – Da fing Stiller plötzlich zu sprechen an und meinte, daß doch heute eigentlich recht schönes Wetter sei – und dergleichen belanglose Dinge. Eine Zeitlang glaubte ich, daß er über mich hinwegsehe, aber endlich sah ich ein, daß er genau beobachtete, welchen Eindruck seine Worte auf mich machten. Endlich sagte er: „Legen Sie Hut und Mantel ab.“ Ich tat, was er verlangte. Er umkreiste mich wieder mit langen prüfendem Blick. Seine letzten Worte waren: „Geben Sie mir Ihre Telefonnummer.“ Dann war ich entlassen. Ich wußte nicht, ob ich ihm gefallen hatte und geriet in große Hoffnungslosigkeit.“
Inzwischen hatte Stiller, was Greta nicht wußte, mit dem Ehepaar Molander gesprochen, sie aber gebeten, keine Mitteilung an Greta weiterzugeben. Er war auch häufig Zuschauer im „Dramatischen Theater“ und hatte Muße, das Fräulein Gustafsson auf der Bühne zu bewundern, denn Greta trug damals als Schauspielerin ihren dem schwedischen Publikum nicht fremd klingenden Familiennamen. Die Entscheidung mußte die Probeaufnahme bringen.
Einige Tage nach dem Telegramm erschien eine Aufforderung an Greta, nach Rasunda in das Filmatelier zu einer Probeaufnahme zu kommen. In der Straßenbahn die in diesen Vorort führte, traf Greta mit ihrer Freundin Mona Märtensson, die gleichfalls zu Probeaufnahmen herausbestellt worden war, zusammen und faßte das Zusammentreffen als glückliche Vorbedeutung auf. Im Atelier von Rasunda erhielt Greta freilich zuerst die Gewißheit, daß noch verschiedene junge Schauspielerinnen zu Probeaufnahmen bestellt worden waren, denn der Maskenbildner schminkte die jungen Mädchen auf gleiche Art, wie er ihnen die auch die gleiche Frisur von seinen Gehilfen machen ließ. Dann durften die Mädchen das Atelier betreten und mußten in einer Rolle auf altertümlichen Stühlen Platz nehmen, während Stiller prüfend vorüberschritt.
Danach kam die Probe. Die Mädchen mußten sich der Reihe nach in ein Bett legen und den Ausdruck einer Schwerkranken nachahmen, während die Scheinwerfer aufflammten un ein Kameramann die Szene drehte. Greta war so verwirrt, daß Stiller bei ihrer Probe ärgerlich ausrief: „Aber ist es denn wirklich so schwer, im Bett krank zu sein?!“ – „Wahrscheinlich sind die Mädchen vor lauter Aufregung wirklich krank“, sagte da der Kameramann Jaesson, Stillers rechte Hand, der sich als einziger etwas vor dem strengen Spielleiter herausnehmen durfte. Da alle Anwesenden darüber lachten, so konnte sich Greta das Lachen kaum verbeißen, und so machte sie ein recht unglückliches Gesicht, das nun auf den Filmstreifen kam.
Nachdem sämtliche Mädchen gefilmt worden waren, durften sie wieder nach Hause gehen, ohne das Geringste zu erfahren. Greta ging aus dem Filmatelier ohne die leiseste Hoffnung fort. Sie spielte am selben Abend im Theater die „Hedda Gabbler“, und ihre Mitspieler waren verwundert über die dramatische Stärke, mit der Greta diesen komplizierten Charakter verkörperte. Sie sah alle Hoffnung auf den Film schwinden und wollte nunmehr ihre Kunst völlig dem Theater weihen.
Drei Tage danach kam eine Nachricht der Filmfirma, für die Stiller arbeitete, daß Greta für die Rolle der Gräfin Dohna ausersehen sei und man sie bäte, zur Unterzeichnung des Vertrages in das Büro zu kommen. Sie war in diesem Augenblick das glücklichste Mädchen in Schweden.
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