Der Propagandafilm sollte nicht nur ein Gang durch die einzelnen Abteilungen des Warenhauses sein, sondern durch humoristische Szenen das Interesse der Zuschauer wach halten. So hatte Herr Ring den Auftritt einer jungen Damen vorgesehen, die sich nicht modisch beraten lassen will, ein Reitkostüm nach ihr Geschmack wählt und damit ausgelacht wird, so daß sie zu Bergström geht und hier ein Kleid erhält, worin sie vorteilhaft aussieht. Diese Rolle, die keine der Ringschen Schauspielerinnen haben wollte, fiel an Greta.
Das Lehrmädchen Gustafsson war mit rechter Neugier, aber auch mit kritischem Sinn in das Filmstudio gegangen. Ihr mißfiel vieles, vor allen Dingen das Fräulein Andersson, die ein langweiliges Puppengesicht hatte, aber so etwas wie einen „Star“ darstellte. Greta war über die ihr zugeteilte Rolle nicht gerade glücklich, denn sie hatte an eine ganz andere Aufgabe geglaubt. Aber sie wußte, daß sie hier nicht aus eigenem Antrieb erschienen war, sondern auf Wunsch des Werbechefs, der ihr eine Vergünstigung verschaffen wollte, denn den Mitwirkenden war ein kleines Geschenk in Aussicht gestellt worden. Daher ließ sie sich von der Garderobiere einen Herrenreitdreß anziehen, der nicht nur ein auffallend kariertes Muster zeigte, sondern auch noch zwei Nummern zu groß war, so daß Greta darin wirklich als lächerliche Erscheinung wirkte. Aber nun sie im Spiegel sich besah, zeigte sie, daß sie wirklich schauspielerisches Blut besaß. Manches junge Mädchen hätte geheult über ihr dummes Aussehen, wäre davongelaufen und hätte die Kleider heruntergerissen. Aber für Greta war das Kostüm nur eine Maske, und im Augenblick, da sie sich im Spiegel wiederfand, ging eine Verwandlung mit ihr vor. Sie wußte genau, daß sie nur dann komisch wirken konnte, wenn sie ganz ernst und unbefangen blieb. Sie prüfte ihre Bewegungen vor dem Spiegel, und als sie vor die Kamera gestellt und ihr der Hergang der Szene erzählt wurde, spielte sie völlig natürlich, ganz als ob sie von niemand beobachtet würde. Hauptmann Ring war äußerst befriedigt, denn er hatte zwei Warenhausmädchen zurückstellen müssen, da sie vor Lampenfieber nicht wußten, was se vor der Kamera anfangen sollten.
Greta fiel ihm schon deshalb auf, weil sie ihre Aufgabe wie eine richtige Schauspielerin begriff, weil sie nicht in den Fehler so vieler Anfänger verfiel und ihre Szene zu stark spielte. Aber nicht nur in den komischen Augenblicken war Greta gut, sondern sie brachte auch den Übergang sehr fein, als sie schließlich in dem korrekt sitzenden Reitkleid auftrat und an sich selbst Gefallen fand. Ring fragte sie daher, wie oft sie schon gefilmt habe, denn er glaubte die Sicherheit auf eine gewisse Übung zurückführen zu müssen, und war erstaunt, zu hören, daß diese Rolle ihr Debut war. Herr Ring hatte anfangs nur an eine Beschäftigung Gretas in den komischen Auftritt gedacht – und das auch nur aus dem Grunde, weil er keine „komische Junge“ unter seinen Darstellerinnen besaß ... und aus irgendeinem dunklen Grunde war ihm Greta als komisch in der Erinnerung geblieben. Als aber ihre Eignung für den Film klar bewiesen wurde, beschäftigte er sie noch i verschiedenen anderen Auftritten des Bergström-Propagandafilms.
Dieser Film gelangte im Herbst 1920 zur Aufführung und fand bei den Zuschauern großen Beifall, weil nämlich ein umschwärmter Bühnenschauspieler, Ragmar Widerstedt, ein Harry-Liedtke-Typ, die führende Rolle übernommen hatte.
Nach einiger Zeit fragte Hauptmann Ring bei dem Warenhaus um Erlaubnis an, das Fräulein Gustafsson in einem zweiten Werbefilm beschäftigen zu dürfen. Da die Aufnahmen nur drei Vormittage beanspruchten, so wurde der Urlaub bewilligt; am Nachmittag mußte Reta dann wieder im Geschäft tätig sein. Sie war nicht wenig stolz darauf, gefallen zu haben; außerdem erhielt sie für ihre Mitwirkung zehn Kronen am Tag, einen für sie schätzenswerten Nebenverdienst. Sie spielte unter der Leitung von Ring noch in drei weiteren Werbefilmen, bat dann aber, von einem erneuten Urlaubsgesuch bei Bergström abzusehen, denn sie hatte gemerkt, daß ihre Kolleginnen die Beurlaubungen für den Film zuletzt übel aufnahmen. Auch fand Greta nicht das rechte Interesse an dieser Filmarbeit, nachdem der Reiz der Neuheit vorüber war, denn die Rollen in den Werbefilmen waren ja auch nicht das „große Spiel“.
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Hauptmann Ring jedoch erhielt wenig später von der Stockholmer Handelskammer den Auftrag, einen Heimatfilm zu drehen, der Schwedens Landschaft, Kultur und Industrie zeigte und der für die Welt-ausstellung in Tokio bestimmt war. Die Mitwirkung an diesem Film hatte als nationale Ehrensache zu gelten, und so bekam Herr Ring von dem Warenhaus einen zustimmenden Bescheid, als er das Fräulein Gustafsson zu beurlauben erbat. Greta stellte in mehreren Auftritten das typische junge Mädchen aus Schweden dar; besonders reizvoll trat sie in der alten schwedischen Tracht der Provinz Wärmland hervor. Ihr Partner in dieser Szene führte den Namen Einar Hansson und war Theaterschüler. Er teilte dann später eine Zeitlang Gretas Schicksal.
Durch ihre Arbeit in dem einfachen Atelier Rings – es war nach der Sitte der Jahre ein Glashaus mit recht bescheidenem Lampenpark – hatte Greta verschiedene Schauspieler und eine Anzahl Filmtechniker kennengelernt, und einer der letzteren empfahl sie dem Tullbergfilm. Diese Firma arbeitete im Auftrag des Industriekonzerns von Oerebro an einem Kulturfilm, der namentlich für das Ausland bestimmt war und auch in Übersee vorgeführt werden sollte. Aus diesem Grunde wurden die Kosten nicht ängstlich berechnet, denn der Film sollte technisch meisterhaft sein, während die ihm zugrunde liegende Spielhandlung von guten Darstellern getragen wurde. Die Rahmenhandlung erschien in historischem Gewande; sie begann in nordischer Frühzeit, und in diesem Teil sollte Greta eine Walküre darstellen, die am Hjalmarsee auf die zurückkehrenden Wikinger wartet. Aber als diesmal um die Beurlaubung Gretas gebeten wurde, tönte von seiten der Geschäftsleitung ein entschiedenes „Nein!“ entgegen. Der Abteilungsleiter war der nicht unbegründeten Meinung, daß fortgesetzter Urlaub nicht mit der Disziplin eines großen Kaufhauses zu vereinigen wäre. Gretas Lehrzeit war eben zu Ende gegangen, und sie sollte sich auf Wunsch der Personalabteilung entscheiden, ob sie nunmehr als Verkäuferin, Hutarbeiterin oder als Vorführdame beschäftigt zu werden wünschte. In so ernste Absichten paßte natürlich die Aufforderung, eine Walküre darzustellen, herzlich schlecht. Greta, die eben siebzehn Jahre alt geworden war, entschied sich für den Posten einer Hutverkäuferin. – Der Film mit seinem so angenehmen Nebenverdienst verschwand einstweilen völlig aus dem Gesichtskreis der jungen Verkäuferin, und von der Leidenschaft für die Bühne blieb nur ein häufiger Theaterbesuch zurück.
Die Werbefilme des Hauptmanns Ring waren vergessen und aus der Mode gekommen, denn inzwischen stand die Filmindustrie Schwedens auf und entwickelte einen künstlerischen Darstellungsstil, der befruchtend auf alle Filmländer Europas wirkte. Der Schwedenfilm hatte überall Beifall gefunden und manches Talent aus dem Dunkel in das strahlende Licht der großen internationalen Lichtspielhäuser treten lassen. – Aber in Stockholm gab es, wie auch in anderen Hauptstädten, noch mehr unentdeckte Talente, die den Film mit großen Ideen entwickeln wollten. Ein solches Talent, das filmisch kein unbeschriebenes Blatt war, ging zwei Jahre nach den letzten Vorfällen in Gestalt eines etwas genial zerzausten Gentleman durch die Geschäftsstraßen Stockholms. Von seinen Sorgen war die größte die, woher er das Geld für einen neuen Film nehmen sollte, denn sein bisheriger Geldgeber hielt plötzlich die Taschen zugeknöpft, nachdem die versprochenen Gewinne nicht in dem erwarteten Umfang einliefen. Den Filmen war Anerkennung nicht versagt geblieben, aber die Herstellungskosten konnten die wenigen schwedischen Kinos nur gerade decken, ein Gewinn setzte den Absatz im Ausland voraus, und dorthin waren diese Kurzfilme nicht gelangt.
Dieser Herr, Mitte Dreißig, den seine Besuchskarte als den Filmregisseur Erik A. Petschler auswies, glaubte nunmehr auf dem richtigen Wege zu einer ertragreichen Filmproduktion zu sein, wenn er „Badefilme“ in der Art des Amerikaners MacSennet drehte. Diese fast nur aus Freiaufnahmen bestehenden Filme, in denen gut gewachsene Mädchen die nicht sehr bedeutende, meist humoristische Handlung darstellten, kosteten so gut wie nichts – aber ihrem Hersteller hatten sie ein Vermögen gebracht, und aus den Reihen der „Badegirls“ waren so berühmte Filmsterne wie Gloria Swanson, Mae Murray, Marie Prevost hervorgegangen. In Kalifornien wie in Schweden leuchtete die Sonne als kostenlose Lichtquelle, und der Meeresstrand war hier wie da als großartige Dekoration zu verwenden, die nicht bezahlt zu werden brauchte. Was nun die jungen gutgewachsenen Mädchen betraf, so besaß Schweden zahlreiche schöne Frauen, die im Schwimmsport den Amerikanerinnen nichts nachgaben.
Während Herr Petschler diesen Gedanken nachging, nahm ein Schuhladen seinen Blick gefangen, in dessen Fenster – welch amüsanter Zufall! – mehrere Reihen entzückender Badeschuhe ausgestellt waren. Erik A. Petschler nahm diesen Anblick als Wink des Schicksals, die Sache mit dem Badefilm energisch anzutreiben. Und indem er so dachte, trat plötzlich ein junges Mädchen neben ihn und schenkte den Badeschuhen eingehende Aufmerksamkeit.
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