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Greta Garbo
Das geheimnisvolle
Leben der Göttlichen  

 

Schon als
Rasierschaum-Mädchen
träumte sie von
Hollywood

Den Mund voll Eiswasser, blickte Louis B. Mayer gequält auf die Fotografie. Für einen kurzen Augenblick betäubte die Kälte den entzündeten Backenzahn. Dann war der Schmerz wieder da.
     Wie zum Zeichen seiner Ablehnung stellte der allgewaltige Produzent sein Glas auf das Bild. "Ein hübsches Ding, ja. Aber irgendwie sieht sie langweilig aus, Irving. Wie, sagten Sie, heißt sie?"
     "Greta Garbo."
     Viel mehr als das hübsche Ding interessierte Louis B. Mayer der Regisseur Mauritz Stiller. Schließlich hatte er seinen Assistenten Irving Thalberg nach Europa geschickt, um ihn für Hollywood zu gewinnen, nicht irgendeine unbedeutende Schauspielerin. Aber Stiller hatte nur kommen wollen, wenn auch Greta Garbo engagiert wurde. Auch seine erste persönliche Begegnung mit ihr, am 13. März 1924, ließ den Chef von MGM zunächst ziemlich kalt. Zusammen mit Mauritz Stiller besuchte sie ihn in seinem Büro.
     An die Wirkung schönen Scheins gewöhnt, erschien ihm die junge Frau in dem schlichten blaßblauen Wollkleid so gar nicht danach, einem Millionenpublikum zu gefallen. Allein schon, wie sie dastand: die Füße leicht nach außen gedreht, die Hände linkisch ineinander verschränkt. Zugegeben, sie hatte ein makellos schönes Gesicht. Aber besonders ausdrucksvoll fand er es nicht. Und dann diese Frisur! Glattes, kurzgeschnittenes Haar, links gescheitelt. Als wollte sie nicht zum Film, sondern ins Kloster. Aber immerhin rauchte sie. Mit überraschend dunkler, melodischer Stimme bat sie Mauritz Stiller um eine Zigarette.

 


In diesem Friseur-Geschäft in
Stockholm arbeitete die junge
Greta als Rasierschaum- Mädchen

Greta Garbo und ihre Mutter Alice. Die Familie
lebte in ärmlichen Verhältnissen. Wenn sie satt
werden wollte, blieb oft nur die Küche der Heils-
armee

Greta als 14jährige im Matrosenkleidchen

Sie war die Tochter eines Straßenkehrers

     Louis B. Mayer rang sich ein Lächeln ab. "Erzählen Sie ein bißchen über sich, Greta. Ich weiß gern, wer meine Stars sind. Sie haben in Schweden als Friseuse gearbeitet?" In der bedächtigen, überlegten Art, die sie ihr ganzes Leben beibehalten sollte, antwortete die Garbo: "Ich war ein Rasierschaum-Mädchen, seifte die Kunden ein, schliff und säuberte die Rasiermesser. Dafür bekam ich sieben Kronen in der Woche, plus Trinkgeld. Ein halbes Jahr machte ich das. Dann fing ich bei Bergström an, dem größten Kaufhaus in Stockholm. Zuerst war ich Packerin, dann Hutmodell."
     Nie wieder sollte Greta Garbo sich so ausführlich über ihr Leben auslassen. "Sie hat mir alles erzählt", rühmte sich Louis B. Mayer später, "sogar wann und wo sie zur Welt kam. Sie sprach ganz offen über die bittere Armut in ihrem Elternhaus."
     Als Greta Lovisa Gustafsson am frühen Morgen des 18. September 1905 geboren, wuchs die Tochter eines Straßenkehrers im armseligen Stockholmer Arbeiterviertel Södermalm auf. Sie wurde "G.G." oder "Keta" genannt. Ein echter Wildfang. Sie wäre lieber ein Junge gewesen und machte Fremden gern vor, einer zu sein. Greta liebte Bockspringen, das Murmelspiel und lauten Gesang – sehr zum Verdruß von Frau Sönebom, eine verbitterte alte Jungfer in der Wohnung nebenan.
     Das alles hörte von einem Tag zum anderen auf, als Keta elf Jahre alt wurde und von Frau Lind zum Geburtstag eine Theaterkarte geschenkt bekam. Agnes Lind besaß einen kleinen Tabakladen in der Nachbarschaft. Ihr Steckenpferd waren Starfotos. Einmal, als Keta Zigaretten für ihren Vater kaufte, klebte sie gerade einige Neuerwerbungen in ein Album. Das Kind war wie verzaubert von all den strahlenden Schönheiten. "Wenn ich groß bin, will ich auch eine berühmte Schauspielerin werden", verkündete sie, ganz zum Entzücken von Frau Lind. Das Theater wurde für G. G. eine Zufluchtsstätte, ein Ort, an dem sie ihrer Phantasie freien Lauf lassen konnte. Sie wollte um jeden Preis Schauspielerin werden. Alles andere interessierte sie nicht mehr. Als sie 14 war, starb ihr Vater, den sie abgöttisch geliebt hatte, nach einem langen, schweren Nierenleiden. Die letzten zwei Jahre hatte er kaum noch gearbeitet. Wollten sich Keta und ihre Geschwister Sven und Alva sattessen, blieb ihnen oft nur die Suppenküche der Heilsarmee...
     Greta Garbo ließ sich von Mauritz Stiller eine zweite Zigarette geben und erzählte, wie sie zunächst vergeblich versucht hatte, ihn für sich zu interessieren. Nachdem sie seinen Film "Herrn Arnes Schatz" gesehen und dann in der Zeitung gelesen hatte, daß er in Stockholm lebte, wartete sie einen halben Tag vor seinem Haus auf ihn. Endlich kam er. Sie stürzte auf ihn zu und bat ihn ohne Umschweife um eine Rolle. Stiller sah sie etwas befremdet an, stellte ihr ein paar höfliche Fragen und versuchte, ihr begreiflich zu machen, daß sie als Schauspielerin noch zu jung war. "Kommen Sie wieder, wenn Sie die Königliche Schauspiel-Akademie besuchen", sagte er sanft und verschwand im Haus.

 

Sie mußte erst einmal 20 Pfund abnehmen
     Am 12. August 1922 bestand sie die Aufnahmeprüfung. Und ein knappes Jahr später stellte sie sich Stiller ein zweites Mal vor. Er bereitete gerade seinen Film "Gösta Berling" vor und erwog ihr die Rolle der Gräfin Elisabeth Dohna zu geben. Allerdings fand er, sie sei etwas zu dick, und machte zur Bedingung, daß sie 20 Pfund abnahm. Am 23. Juli 1923 erhielt sie den Vertrag, in dem sich die Svensk-Film verpflichtete, ihr 3000 Kronen zu zahlen, ungefähr 1200 Mark. Noch während der Dreharbeiten stellte Greta Lovisa Gustafsson beim Innenministerium den Antrag, sich künftig Greta Garbo nennen zu dürfen.
     "Gösta Berling" wurde ein großer Erfolg und ließ Hollywood auf Mauritz Stiller aufmerksam werden.
     "Haben Sie den Film eigentlich gesehen?" wollte die Garbo von Louis B. Mayer wissen.
     "Ja. Aber ich muß zugeben, daß ich Sie nicht wiedererkannt habe. Diese schlichte Frisur – Sie sehen heute völlig anders aus. Wenn ich ehrlich bin, haben Sie mir in der Rolle besser gefallen. Vielleicht sollten Sie nicht diese künstlichen Wimper tragen und statt dessen etwas Lippenstift..."
     "Aber sie sind nicht künstlich", sagte Greta Garbo, stand auf und streckte ihm ihr Gesicht entgegen. "Bitte, ziehen Sie daran!"
     Louis B. Mayer hob in gespielter Entrüstung beide Hände. "Aber nicht doch!"
     Die junge Frau verzog keine Miene, während die beiden Männer amüsiert lachten. Das Eis war gebrochen...
Waldemar Overkaemping

     
Links: „Die Göttliche“ in einer Filmszene des Streifens
„Street of Sorrow“ (Die freudlose Gasse), der im Jahre
1925 in die Kinos kam. Rechts: Greta Garbo in
„Woman of Affairs“, produziert von Clarence Brown
(1929). Mit beiden Filmen begeisterte die Diva
Millionen – und füllte die Kinokassen

Fotos: Archiv, Hulton (2), Kobal, Sygma (2)

 

Lesen Sie im nächsten Heft:
Eine russischen Gräfin
trachtet ihr nach dem Leben


 
Part II
  
 

 

from:   Das Goldene Blatt     1990
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