Die Jahre 1922/23 bringen in Deutschland die Stummfilmproduktion auf Hochtouren. Regisseure aus aller Welt gehen entweder nach Deutschland oder nach Frankreich, denn hier arbeiten, heißt, das große Sprungbrett für das Endziel aller Regisseure und Schauspieler benutzen zu können, das Sprungbrett nach Hollywood. Auch der Regisseur I. E. Petschler hat beschlossen, Schweden zu verlassen. Er hockt in seinem Büro auf einer Kiste und läßt seine kurzen Beine herunterbaumeln. Er hat einen dicken Schal um den Hals geschlungen, alle Türen stehen auf, und es zieht.
Zu dem Sprung nach den Vereinigten Staaten verhalf ihr der schwedische
Regisseur Stiller (links), der Gretas Leben entscheidend beeinflußte. Er war es,
der hinter dem Gesicht der kleinen Stockholmer Verkäuferin das Profil eines
Antlitzes erahnte, das eine ganze Welt Jahrzehntelang in seinen Band schlagen
sollte (rechts).
„Es hilft nichts, ich muß raus, Greta“, sagt er zu dem Mädchen, das inmitten all der Reisevorbereitungen vor ihm steht und ihn flehend anschaut. „Ich muß mir fremden Wind um die Nase wehen lassen. Hier ist im Augenblick nicht viel zu machen. Aufträge gibt es gerade genug, aber eben in Deutschland, in Frankreich und vielleicht in Amerika. Ich muß dort das Terrain sondieren und kann damit nicht länger warten. Hier ist alles so bürgerlich. Und du – wie geht es dir?“
„Deshalb bin ich hier“, sagt Greta, ein wenig kläglich, „ich weiß nicht, Herr Petscher, aber ich glaube, es geht nicht mehr.“
„Was?“ fragt der Regisseur. „Du hast die Prüfung auf der Schauspielschule doch gut bestanden, und jetzt, nachdem du schon sieben Monate hinter dir hast, behauptest du plötzlich, es ginge nicht mehr. Was sind das für Hirngespinste?“
„Ach, es ist alles so entsetzlich monoton. Ich habe Großes und Neues erwartet. Und was kam? Von 8 bis 9 Uhr Bewegungslehre, von 9 bis 10 Uhr Literaturgeschichte, von 10 bis 11 Uhr Sprechtechnik – –“
Ein Arm voller Blumen war der erste Gruß, mit dem Amerika
eine junge Schauspielerin begrüßte, deren Stern band darauf
strahlend am internationalen Filmhimmel aufging
„Unsinn, das ist Handwerk, jeder muß vor dem Erfolg an der Werkbank schwitzen. In einem Jahr wirst du soweit sein, daß –“
„– ich in einem Tingeltangel auftrete oder ein zweitrangiges Mannequin bin. Nein, Herr Petschler, das Geld ist alle, von Alvas Verdienst und meinem Stipendium können wir nicht leben. Bei uns zu Haus steht Wassersuppe auf dem Tisch.“
Der Regisseur sieht sie lange an und sagt dann: „Das ist natürlich ein ernstes Argument. Aber wie könnte ich dir helfen? Mein Geld reicht gerade für die Reise. Na, vielleicht fällt dem alten Petschler noch irgendein Regietrick ein. Sag mal, kennst du Stiller? Nein? Aber du hast doch von ihm gehört? Mauritz Stiller, der Eisberg und Schauspielerschreck. Sehr talentierter Knabe. Ich werde dich zu ihm schicken. Er soll dich ansehen. Mehr will ich nicht. Nur ansehen, verstehst du?“
Die offizielle Version, daß Stiller bei einer Schuleraufführung Greta Garbo in der Rolle der Ellila in Ibsens Schauspiel „Die Frau am Meer“ gesehen habe und von ihrer schlummernden Schönheit und der Entfaltungsfähigkeit ihrer Kunst so beeindruckt gewesen sei, daß er sie aufgesucht habe, um sie zu engagieren, ist eine der vielen Erfindungen, die in irgendeiner Redaktion in der Welt geboren wurden. Ich habe mir sowohl von Herrn Petschler als auch wiederholt von Mauritz Stiller den Anfang der Bekanntschaft mit Greta erzählen lassen und weiß, daß Stiller Greta zum erstenmal bei den Proben zu dem Film „Gösta Berling“ hat spielen sehen. Stiller hatte zunächst an Greta Garbo ein rein privates Interesse – doch ich will dem Gang der Handlung nicht vorgreifen.
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Greta hat viele Versuche gemacht, den großen Regisseur in seiner Wohnung zu treffen. Immer wieder wurde sie von der Haushälterin kurz abgewiesen. Leider – es sei unmöglich, Herr Stiller sei momentan zu beschäftigt, Herr Stiller sei verreist, Herr Stiller schlafe. Morgen? Bitte sehr, sie könne es ja morgen wieder versuchen, aber es sei zweifelhaft, sehr zweifelhaft. Endlich ist es ihr gelungen, wenigstens in seinem Vorzimmer Posten zu beziehen. Auf einem Tischchen liegen zerlesene Filmzeitschriften. Die Sekretärin hat die Karte von Petschler zu ihm hineingetragen, und einige Minuten sind seitdem vergangen. Heute noch erzählt Greta, wie sehr sie in diesem Augenblick an ihre Zukunft geglaubt habe:
„Es war ein Mittwoch, ein Glückstag, an der Straß0enecke hatte ich vorher einen Schonsteinfeger angefaßt und in der Nach von einem großen Feuer geträumt. Plötzlich ging die Tür auf, und Stiller stand vor mir. Er wirkte groß und breitschultrig, nicht mehr jung, war aber auch nicht direkt alt zu nennen.
‚Das sind Sie also', sagte er langsam und spöttisch, seine Stimme war schwerfällig, beinahe spröde. Ich stand auf und nickte. Dies schien mir doch eine reichlich seltsame Begrüßung zu sein.
‚Sehr erfreut', sagte Stiller mit unverkennbarer Ironie. ‚Sie sind wohl der Ansicht, daß ich Agent für filmhungrige Statisten bin. Dazu müßte ich genau das haben, was mir fehlt, nämlich Zeit. Ich muß arbeiten, wissen Sie, Nur wer arbeitet, wird etwas. Haben Sie sonst noch eine Frage?
Ich konnte nur noch stammeln und war den Tränen nahe. Mehrmals versuchte ich, einen Satz anzufangen, kam aber über das Wort ‚Ich – ich' nicht hinaus.
‚Ich ist keine Frage, sondern eine Überheblichkeit', sagte Stiller. ‚Es wird wohl besser sein, daß wir diese zweitraubende Unterhaltung jetzt beenden. Guten Tag, meine Dame. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß ich ausdrücklich nicht auf Wiedersehen gesagt habe.' Damit ging er in sein Zimmer zurück. Er wirkte nicht einmal ärgerlich, nur eiskalt und ungerührt.“
Stiller hat mir dann, als wir viele Jahre später von Hollywood einmal einen Ausflug nach Long Beach machten, erzählt, wie es ihm damals mit Greta Garbo weiter ergangen ist, und wie es dann schließlich doch noch dazu kam, daß er sie kennenlernte. Eine halbe Stunde nach dem Gesuch Gretas nämlich klingelte auf seinem Schreibtisch das Telefon. Es meldete sich Petschler, der aus einem kleinen Café gerade noch zwischen Kai und Schiffskajüte telefonierte. Greta hatte ihn hier, mitten in seiner Abreise, noch vollkommen verzweifelt erreicht. Das Gespräch zwischen Petschler und Stiller ist sehr kurz gewesen.
„Hast du sie angesehen?“
„Ich habe mit der Dame gesprochen.“
„Ich frage, ob du sie angesehen hast?“ schrie die Stimme am anderen Ende. „Verdammt nochmal, Mauritz, in zehn Minuten geht mein Schiff. Ich möchte vorher eine Antwort haben.“
„Es war nichts zu besprechen.“
„Ich frage zum letztenmal, ob du sie angesehen hast“, rief der kleine lebendige Regisseur in den Apparat.
„Nein“, sagte Stiller.
„Dann sieh sie dir an, und zwar sofort, verstanden? Ich verlange das als Abschiedsgeschenk.“
„Gute Reise, du wirst mir fehlen, altes Haus. Sag ihr, daß ich in einer Viertelstunde drei Minuten Zeit habe.“
„Das genügt, adieu!“ sagte Petschler abschließend.
Zehn Minuten nach diesem Telefongespräch steht die Sekretärin von Mauritz Stiller wieder in seinem Arbeitszimmer und sagte ihm, daß das lästige Fräulein schon wieder da sei.
„Soll ich, oder wollen Sie persönlich?“
„Persönlich“, antwortete Stiller, ohne aufzublicken. „Lassen Sie sie hereinkommen.“
„Wie bitte?“ fragte die Sekretärin erstaunt. Dann kommt sie zögernd diesem ihr völlig unverständlichen Wunsche nach. Stiller schreibt, während sich die Tür öffnet und langsam, zögernde Schritte näherkommen.
„Setzen Sie sich“, sagte er. Als er merkte, daß die Besucherin ihm gegenüber Platz genommen hat, hebt er den Blick und sieht Greta an. Es ist ein seltsamer, gleichsam sezierender Blick. Ganz kühl und beherrscht, ein greller Scheinwerfer, der sein Licht langsam über ihr schönes Antlitz schickt.
„Stehen Sie auf“, sagte er dann. Greta gehorcht wie unter dem Bann einer Hypnose. Jetzt leuchtet der Scheinwerfer ihre Gestalt ab.
Fotos: Privat/Archiv |