Göttin
der Moderne
Hundert Jahre Unsterblichkeit:
Das Bild der Greta Garbo
Vielleicht wächst seit einigen Jahren eine Generation heran, für die Greta Garbo (wenn überhaupt) nichts anderes ist als eine berühmte Schauspielerin aus jener fernen Zeit, in der das Kino noch fürs Wünschen und Begehren zuständig war. Für diejenigen aber, die im vergangenen Jahrhundert aufgewachsen sind, ist Greta Garbo der Star in seiner reinsten Form – der Welt entrückt und doch voll von ihr, eine Frau der Moderne selbst im historischen Kostüm und, wie es schien, von ewig betörender Schönheit. Ihre Karriere beim Film dauerte nur achtzehn Jahre; sie endete 1941, und viele der Filme, in denen sie gespielt hat, sind nicht so gut über die Zeit gekommen wie G. W. Pabsts „Freudlose Gasse“ oder Ernst Lubitschs „Ninotschka“. Doch lange schon hat sich ihr Bild von einzelnen Rollen, Filmen, selbst Epochen gelöst. Nur dem Jahrhundert, aus dem sie kam, bleibt die Garbo verhaftet, weil ihr Bild Ergebnis von dessen technischen Errungenschaften ist.
Es ist keine kühne Vermutung, daß Greta Garbo selbst in ihrem Heimatland Schweden ohne das Kino unbekannt geblieben wäre, auch wenn sie ihr Leben am Theater verbracht hätte, wie sie es ursprünglich vorhatte. Sie wäre keine Sarah Bernhardt geworden. Greta Garbo brauchte die Kamera, um sich in die Garbo zu verwandeln, einen Apparat, der die Grenze zu ihrem Publikum und der Welt markierte, und sie brauchte den selektiven Blick des Objekts, der sie immer ganz nah heranzog oder in weite Ferne schob. Ihre Regisseure und Fotografen wußten das. In ihren Filmen erscheint sie fast immer entweder in weiten Totalen, in denen ihre Gestalt oft ein wenig abseits steht, oder in nahen oder ganz nahen Einstellungen. Und unter den unzähligen Fotografien, welche die besten und berühmtesten Fotografen ihrer Zeit von ihr aufgenommen haben, gibt es nur vereinzelt solche, auf denen sie von Kopf bis Fuß bildfüllend zu sehen ist. Eine große Auswahl dieser Porträts, ergänzt um zahlreiche unbekannte Fotos, versammelt der gerade im Henschel Verlag erschienene Bildband „Greta Garbo. Das private Album“, herausgegeben von Scott Reisfield und Robert Dance.
Bela Balász sah in ihrer Schönheit einen stummen. leidenden Protest gegen die bürgerliche Welt. Siegfried Kracauer nannte sie die Schönheit schlechthin. Eigenschaftslos sei ihre Erscheinung, die Garbo kein Typ, sondern Repräsentantin der Gattung Frau. Auch andere kluge Männer packten ihre Begeisterung in geschwollene Sätze, in denen neben der Hingabe an ihre Schönheit meistens auch der Respekt vor ihrem Spiel einen Platz fand. Vor ihren Pupillen hing immer ein gewisser Weltüberdruß, und doch konnten ihre Augen jedes Gefühl heraufbeschwören, das eine Rolle verlangte. „So viel Seele und so müde immer“, sagte sie einmal über die schwedische Schauspielerin Gerda Lundequist, die eines ihrer frühen Vorbilder war, und genau so sah sie selbst dann aus.
Heute sind Frauen auf andere Weise schön. Weniger müde, weniger träge in ihrer Sinnlichkeit. Auch Filmstars sehen anders aus, diesseitiger. Greta Garbo aber schien so wenig von dieser Welt zu sein, daß gerade das, was jeder kann, bei ihr überraschte: Die Garbo spricht, hieß es, als sie den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm zum ersten Mal meisterte, die Garbo lacht, die Garbo schwimmt, die Garbo tanzt Rumba – MGM, das Studio, bei dem sie unter Vertrag stand, pumpte all dies zu Werbebotschaften auf. Dabei hatte es mit Greta Garbo die erste moderne Frau als Star erschaffen, selbstbewußt, unabhängig, standhaft. Was immer wieder Mythos heißt, wenn von der Garbo die Rede ist, entstand aus dieser Spannung zwischen ihrer göttlichen Erscheinung und der Durchsetzungskraft und Intelligenz einer Zeitgenossin. Allerdings einer einzigartigen. Die Doppelrolle in ihrem letzten Film, „Die Frau mit den zwei Gesichtern“, nahm das Publikum ihr übel. Es konnte nur eine geben, selbst wenn die andere dieselbe war. Am kommenden Sonntag vor hundert Jahren wurde sie geboren. Erst heute schleicht sich der Gedanke ins Bewußtsein, daß bald, lange nach ihren Filmen, auch ihre Schönheit und die Idee, die in ihr wohnte, von musealem Reiz sein werden. |