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Greta Garbo, 1930 porträtiert
von Clarence Sinclair Bull
FOTO: HENSCHEL VERLAG

Ungebrochene Strahlkraft: 100 Jahre Garbo

Berlin – Ihr Tod liegt 15 Jahre zurück, das letzte offizielle Foto 54 Jahre und ihr letzter Film 64 Jahre. Bedenkt man die schnelle Vergänglichkeit von Ruhm, ist der Name Greta Garbo noch bemerkenswert präsent. „Ninotschka“ fällt den meisten zu ihr ein und „Die Göttliche“ und ein Star, der so entrückt und unerreichbar war, daß – mit ihr verglichen – andere Hollywood-Größen wie normale Sterbliche erschienen. Am Wochenende wäre die rätselhafte Schwedin 100 Jahre alt geworden, und das ist ein guter Anlaß, den Gründen für die unverminderte Strahlkraft ihres Namens nachzuforschen.      DW
Seite 27: Ebenmaß und Härte

Ebenmaß und Härte
Die schwedische Schauspielerin Greta Garbo
wäre am Sonntag 100 Jahre alt geworden

V O N    H A N N S  -  G E O R G    R O D E K.

Im Herbst 1938, als die Kriegswolken sich über Europa zusammenzogen, erhielt Greta Garbo in Hollywood die Nachricht, daß Adolf Hitler ihre „Kameliendame“ inzwischen sechsmal gesehen habe und den größten weiblichen Filmstar der Welt unbedingt persönlich treffen wolle.
     Daraufhin, berichteten Freunde, habe sie ernsthaft erwogen, eine Pistole unter ihrem Kleid zu verbergen und den Diktator umzubringen. Ein melodramatischer Auftritt wäre das geworden, wie aus einem nie gedrehten Film – und hätte zu einer Szene geführt, die sie tatsächlich gespielt hatte, sieben Jahre zuvor als Spionin „Mata Hari“: der Gang von der Todeszelle zum Schafott, im schwarzen Gewande, mit geschorenem Kopf, aber stolzen Schrittes.
     Dieser letzte Gang hätte Garbo-Qualität besessen, nicht aber das Attentat davor, denn die Garbo war nicht von dieser Welt. Ihre Legende beruht auf der Distanz zwischen der Göttlichen und dem Weltlichen, aus dem Kontrast zwischen ihrer Oberflächen-Entrücktheit und inneren Härte. Das Mittel, diesen Abstand herzustellen, war die Kamera. Greta Garbo hat in ihren Stockholmer Anfängerjahren auf der Bühne gestanden, aber schnell hatte sich das Objektiv ihrer bemächtigt, dieses makellosen Gesichts, das keine Schokoladenseite besaß, nur Ebenmaß aus jedem Blickwinkel.
     Ihre Lider waren schwer, weswegen sie immer ein wenig müde aussah, doch die großen Augen schienen von Lebensgier zu brennen, von in Tiefen glühender Leidenschaft. Ihr Blick reflektierte die Bewunderung, die ihr entgegen gebracht wurde, sprach aber nicht davon, daß sie es genoß, zeugte nicht von Hochmut oder Ironie, zeigte kein Perma-Lächeln. Ihre Miene verriet eher Erstaunen über die Anbetung, und sie nahm sie entgegen, wie eine Monarchin, die schon zu entrückt ist, um sich wirklich geschmeichelt zu fühlen. Eine Göttin eben, eine Göttin für eine Erde, die Göttinnen eigentlich abgeschafft hatte.
     Die Garbo war das vollendete Produkt des Hollywood-Starsystems und doch ihre eigene Kreation. Als Louis B. Mayer ihr 1925 nach nur drei Filmen in Europa – darunter der deutsche Klassiker „Die freudlose Gasse“ – eine Schiffspassage nach New York buchte, suchte MGM neue Gesichter, weil die großen Stars bei den anderen unter Vertrag standen. Diese Schwedin war talentiert, eine klassische Schönheit, billig zu haben und mit ihren 19 Lenzen in jeder Richtung formbar.
     Letzteres sollte sich schon 18 Monate und drei Filme später als Irrtum herausstellen, weil die Garbo – sich nun ihres Marktwertes bewußt – in Streik trat und von allem mehr wollte: Gage, Mitspracherechte, Ruhe. Das war unerhört in Hollywood, wo Stars per Fünfjahresvertrag praktisch zu Leibeigenen der Studios wurden. Mayer sperrte prompt den wöchentlichen Scheck und drohte mit der Nichtverlängerung ihres Visums; als ihm die Buchhaltung jedoch mitteilte, daß ein einziger Garbo-Film 13 Prozent aller MGM-Jahreseinnahmen eingebracht habe, knickte er ein.


Das perfekte Kameragesicht: Der Star in einem Porträt
aus dem neuen Bildband „Greta Garbo“, den ihr Groß-
neffe Scott Reisfield mit Bildern aus ihrer Privatsammlung
im Henschel-Verlag herausgebracht hat

     Der neue Vertrag sicherte ihr ausdrücklich zu, daß sie von den lästigen Pflichten des Star-Seins befreit wurde: Sie mußte keine Reporter durchs Heim führen, keine Interviews geben und nicht einmal die Premieren ihrer eigenen Filme besuchen. 1932, in dem Multi-Star-Vehikel „Grand Hotel“, sollte sie ihren berühmtesten Satz sagen, das „Ich möchte allein sein“, aber schon fünf Jahre zuvor legte jener Vertrag die Basis für ihren andauernden Nachruhm: Die Garbo limitierte – mehr aus privatem Bedürfnis denn aus Marketingkalkül – den öffentlichen Zugang zu ihrer Person. Ihr Gesicht wurde rationiert.
     So existiert die Garbo bei öffentlichen Anlässen praktisch nicht. Es gibt die Filme – 27 nur in den 19 Jahren bis zu ihrem Rückzug im Jahr 1941 –, es gibt ein paar unscharfe Paparazzi-Schnappschüsse aus ihren stillen New Yorker Jahrzehnten danach – und es gibt die Foto-Sitzungen, zu denen sie ihr Vertrag nach jedem neuen Film verpflichtete.
     Diese Fotos waren keine lästigen Anhängsel wie heute oft beim Film. Hinter der Kamera standen Meister wie Clarence Sinclair Bull, Edward Steichen oder Arnold Genthe und sie inszenierten ihren Star mindestens so sehr wie dessen Regisseure; die langen Hosen, die Herrenhemden, das Androgyne, all das machte vor der Dietrich sie zur Mode, und der Look stammte primär von ihren Fotografen. Welche Garbo-Filme außer „Ninotschka“ und „Königin Christina“ rumoren denn heute noch im kollektiven Bewußtstein? Die Garbo ist der wohl einmalige Fall, daß ein Filmstar mehr durch Standbilder in die Ewigkeit eingeht als durch die laufenden.
     Der Mythos Garbo beruht auch auf der Reinheit seiner Inszenierung. Das wäre heutzutage überhaupt nicht mehr möglich. Irgendwo lauert immer ein Fan mit Foto-Handy oder eine Fernsehkamera. Das Recht auf Privatheit wird nicht mehr akzeptiert, weder vom schnüffelnden Staat, noch von einer naseweißen Öffentlichkeit. Die Kameras, die einst den Kinogöttern erst auf ihren Thron verhalfen, verhindern heute geradezu eine neue Krönung.
     Ein Gott bewahrt seine Geheimnisse, aber in einer geheimnisfeindlichen Welt ist kein Platz für Götter. Deshalb sind auch unsere Kinogöttinnen so viel profaner als ihre Vorfahren. Julia Roberts macht sich rar in letzter Zeit, aber die Garbo hätte sich nie mit Zwillingen fotografieren lassen (sie hat auch nie geheiratet). Scarlett Johansson – noch ein schwedischer Name – scheint einen ganz guten Weg zu gehen zwischen Auf- und Abtauchen. Aber Greta Gustafsson da oben am Kinosternenhimmel kann beruhigt sein: Eine zweite Garbo wird es nie mehr geben.

 

from:   DIE WELT,         16.09.2005
© Copyright by   DIE WELT

 



 

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