Wenn die Blüte zur Knospe wird
Greta Garbo auf dem Weg zur "Göttlichen": eine Retrospektive auf dem Filmfestival Bologna
Bekannt war Greta Garbo schon durch ihre europäischen Filme; zum Star und zur Legende, zur "Göttlichen" wurde sie erst durch Hollywood. Hier wurden die Formeln geschaffen, die passenden Geschichten erfunden. Man kann sich darüber streiten, ob sie je in besseren Stummfilmen gespielt hat als in Mauritz Stillers "Gösta Berlings Saga" oder in G. W. Pabsts "Die freudlose Gasse". Unzweifelhaft aber ist sie erst mit dem Engagement in den USA zu der Ikone der Schönheit und Erotik geworden, der die Kritiker ihrer und jeder späteren Zeit in seltenem Einvernehmen huldigten.
Der Weg dahin war wie in vielen Erfolgsgeschichten die Vereinfachung. In Europa spielte Greta Garbo eine Rolle, die das jeweilige Drehbuch vorschrieb. In Hollywood wurden die Projekte um sie herum gebaut. Wie die Werkschau auf dem Filmfestival "Il cinema ritrovato" in Bologna (das sich vor allem dem Stummfilm widmet) demonstrierte, brachte das für die Schauspielerin auch die Festlegung auf einen Typ mit sich: die verführerische Frau, deren Umgebung dazu tendiert, sie für leichtsinnig zu halten "A Woman of Affairs", wie der Titel eines ihrer Filme denn auch lautete.
Doch anders als der "Vamp" ist die Garbo nicht eigentlich Verführerin aus Lust am Verführen. Sie will nicht die Macht über die Männer, sondern die richtige, große Liebe eines Mannes gewinnen. Das war einerseits weniger anstößig, besaß andererseits aber eine bemerkenswerte Spitze. Auch die Männer, die sie wirklich liebt, versagen vor diesem Glücksversprechen.
Bezeichnenderweise gibt es nicht nur die für ein Star-Imago zu erwartende Kodifizierung eines bestimmten Gesten- und Bewegungsrepertoires, sondern auch eine metaphorische Fassung dieses Garbo -Typs: Hollywood griff zu Stilisierungen von Kostüm und Gebärden, die fast vegetabil wirken. Garbos Geste für Unsicherheit, Abwehr, Angst ist ein Sich-Verschließen. Der Körper zieht sich zusammen; die Arme an den Oberkörper gepreßt, die Hände um oder vor das Gesicht gelegt, erscheint die schöne Gestalt wie eine geschlossene Knospe, noch verstärkt durch die Körperhaltung, die zum Kauern tendiert, jede Konfrontation mit der Welt zurücknimmt.
Dagegen steht die Präsentation ihrer Schönheit, in der das Gesicht wie eine Blüte gefaßt wird. Das Kostüm betont das Verführerische, das Gesicht umfaßt ein hochgestellter Kragen, aus einem Dekolleté in V-Form hervorgehend: Ein Präsent, das die Männern gern hätten, doch nie richtig zu schätzen wissen.
Eine ebenso schlichte wie raffinierte Frisur gibt dem Gesicht eine zweite Fassung: zurückgekämmte Locken rahmen das Haupt, anmutig und glorifizierend zugleich, betont durch das Hintergrundlicht, das eine Gloriole herbeizaubert. Die Kleider sind fließend, die Kontur wird umschmeichelt, der Körper gilt als vollendete Ansammlung erotischer Qualitäten: Kein Wunder, daß in "The Temptress" das erste über sie gesprochene Wort lautet: "Sie sind schön." Mehr weiß kaum einer der männlichen Gegenspieler von ihr zu sagen sie wollen, wie es im gleichen Film heißt, den Körper, nicht die Frau, das eigene Vergnügen, nicht ihres.
Ihr Auftreten provoziert sogar Naturkatastrophen, "The Temptress" und "The Torrent" mobilisieren Überschwemmungen, sinflutartige Regenfälle, als ließe sich über die Metapher fassen, was sich entzieht. Es sind erst die Hollywoodfilme, die die Garbo absolut setzen, sie vollends in die Chiffre der Schönheit verwandeln. Daß sie zu stark ist für die Männer, drücken viele Filme durch die unpassende Heirat aus: Der Gatte ist in diesen Filmen immer der falsche Mann. Aber auch der Geliebte, der unweigerlich auftritt, der nun tatsächliche der richtige zu sein scheint, erweist sich oft als zu schwach, um dieser Liebe gerecht zu werden.
Immerhin gibt es auch Garbo -Filme mit einem Happy-End, wenn auch selten in der Stummfilmära. Die reichlich geglättete Anna-Karenina-Version "Love" hat sogar zwei alternative Enden. In einem stürzt sich Anna vor den Zug, im anderen trifft sie, nachdem ihr Mann gestorben ist, Vronsky wieder, der den Sohn aus der Ehe besucht, um sie zu finden. Die Doppelung der Auflösung spricht nicht nur von dem Bemühen, für jeden Publikums-Geschmack das Entsprechende bieten zu können. Es verweist vor allem auf das Problem, die amerikanischen Filme mit der Garbo zu einem schlüssigen Ende zu führen.
In der "Gösta Berlings Saga" und der "Freudlosen Gasse" ist die Figur noch nicht absolut gesetzt. Sie hat in beiden Filmen noch ein "Mädchen-Image" und gilt innerhalb der Narration als eine Figur unter anderen, ist noch entfernt von den Filmen, die nur gemacht wurden, um ihr neues Bild zu präsentieren.
Ein Fragment zeigte in Bologna die Anfänge des Stars. In "Luffar-Petter" (1922) ist Greta Garbo noch ein junges Mädchen im Badeanzug unter anderen. Sie fällt noch nicht sonderlich auf. Aber wenn sie lächeln darf oder eine scherzhafte Bemerkung hinwerfen, dann sieht man, was an ihr später so gerühmt wurde. Ihr Spiel ist scheinbar mühelos natürlich. Das macht sie auch heute zu einer so bemerkenswerten Darstellerin: Wie Asta Nielsen war sie für das Spiel vor der Kamera geschaffen. Die zu großen Gesten der Stummfilm-Diven unterlaufen ihr fast nie.
Diese Präsenz mit unscheinbaren Mitteln behält sie in Hollywood, trotz der nun rigiden Stilisierung. Schwer zu sagen, wer diese neue Garbo "gemacht" hat bei ihr gibt es keinen Sternberg wie bei Marlene Dietrich. Verschiedene Regisseure arbeiten an dieser Kunstfigur, darunter Monta Bell, Clarence Brown, Fred Niblo und Sidney Franklin.
Die Natürlichkeit der Darstellung bleibt, aber das Mädchen im Badeanzug verschwindet vollkommen. Die Garbo wird auf eine vorher unbekannte Art schön. Noch in "Gösta Berlings Saga" würde man sie eher hübsch nennen. Die Frisur hat noch etwas Übertriebenes, manchmal auch Ungebändigtes, sie selbst wirkt in manchem noch unsicher. Die Göttliche darf das nicht mehr sein.
Es wäre aber falsch, Hollywood eine bloße Einschränkung vorzuwerfen. Vielmehr setzen die amerikanischen Filme erst das eigentliche darstellerische Talent der Garbo frei. Sie ist die Meisterin der Nuance und mehr noch des Überganges. Ihre Transformationen sind Höhepunkte, die auch die konventionellen ihrer Filme zu Ereignissen machen.
Sie zaubert plötzlich Verachtung in ihre Züge, wenn sie wieder eine Enttäuschung erleben muß; sie schafft es, in einer einzigen Szene aus einer fast betäubt wirkenden Stimmung in helle Freude auszubrechen, weil sie plötzlich den Geliebten sieht. Ihre Stimmungen gehen fast übergangslos und selbstverständlich ineinander über. Diese Darstellerin setzt die Gefühle als Kontinuum ein und ihr Spiel ist darin variabler als jedes andere.
Manchmal durfte sie auch schon in Stummfilmen Ironie zeigen, wie später in "Ninotschka" von Lubitsch. In "The Temptress" trifft sie in einer wüsten Gegend Argentiniens ein, mit großer Garderobe und richtet im schäbigen Zimmer einen Tisch erst einmal für die Abendtoilette her. Der Spiegel dort verzerrt in Gesicht erst der Blick in den mitgebrachten Taschenspiegel zeigt wieder das ebenmäßige Antlitz. Sie wußte, daß sie diesem Anspruch makelloser Schönheit nicht entkommen konnte. Das Image hat sie, konsequent wie nur Marlene Dietrich, im Alter durch ein Untertauchen, ein Verschwinden aus der Öffentlichkeit wahren wollen. Hollywood hatte mit ihr eine Ikone geschaffen, der die Schauspielerin nicht mehr entkam.