Die einsame Göttin des Films,
die sich bereits mit 36 Jahren aus dem
Geschäft zurückzog,
ist tot
Greta Garbo – Niemand kam ihr wirklich nahe
Von Christine Wischmann
GRETA GARBO als Madame Grusinskaya
in „Menschen im Hotel“.
Foto: Kindermann
Greta Garbo, die "Göttliche", ist am Sonntag nachmittag (Ortszeit) in New York im Alter von 84 Jahren gestorben. Millionen von Kinobesuchern bewunderten in den dreißiger Jahren ihre Schönheit und ihre Scheu, hinter der sich unendliche Geheimnisse zu verbergen schienen. Ein fein gezeichnetes Gesicht mit einer Alabasterhaut, das die Kamera zu einem kunstvollen Spiel von Licht und Schatten herausforderte.
Greta Garbo wurde entdeckt von einer Filmindustrie, die zwar stets nach dem Außergewöhnlichen suchte, es aber sofort leicht konsumierbar machen wollte. Bei Greta Garbo gelang es nicht, und so erklärt sich ihr früher Rückzug mit 36 Jahren. Der in "Grand Hotel" ("Menschen im Hotel", 1932) gesprochene Satz "I want to be alone" ("Ich will allein sein") wird als ihr privates Bekenntnis interpretiert.
Salka Viertel, die in Hollywood Greta Garbos Beraterin und Drehbuchautorin war, beschrieb in ihren Memoiren, wie der sensible Star an den Produzenten zu verzweifeln begann, die alle Filme auf ein möglichst niedriges Intelligenzniveau drücken wollte. "Es wird doch immer wieder dasselbe daraus", soll Greta Garbo einmal gesagt haben.
So wurde aus dem schüchternen Kind, das mit seinen Eltern in einer Stockholmer Einzimmerwohnung hausen mußte, eine introvertierte Millionärin, die wechselweise in einsamen Villen in Amerika und Europa residierte. Greta Lovisa Gustafson, so ihr eigentlicher Name, wurde als Tochter eines Seemanns am 18. September 1905 in Stockholm geboren.
Nach dem Tod des Vaters lernte die 14jährige in einem Friseursalon, wo sie noch dankbar Trinkgelder entgegennahm. Doch schon beim nächsten Schritt, als Hutverkäuferin in einem Warenhaus und dort für Reklamefilme eingesetzt, verweigerte sie Almosen. Man wollte ihr keinen Filmurlaub gewähren, sie kündigte und erhielt ein Stipendium an einer Schauspielschule.
In der Abschlußvorstellung saß der Regisseur Mauritz Stiller, der Mann, der ihren Ruhm begründete. Er drehte mit ihr 1924 "Gösta Berlings Saga". Dann entstand unter G.W. Pabst 1925 "Die freudlose Gasse". Bei seiner Jagd nach europäischen Talenten wurde der MGM-Chef Louis B. Mayer auf Greta Garbo aufmerksam. Er holte sich Star und Entdecker ins Filmparadies Hollywood.
Und während Stiller nach Auseinandersetzungen mit der MGM zu Paramount wechselte und schließlich die Flucht zurück nach Schweden ergriff (wo er kurz darauf starb), stieg Greta Garbo zur Königin dieser Industrie auf, überwand 1930 in "Anna Christie" mit ihrer dunklen, klaren Stimme auch mühelos den Schritt vom Stummfilm zum Tonfilm.
Der Regisseur dieses Films, Clarence Brown, hatte neben Stiller wohl den meisten Anteil an ihrem Ruhm. Unter seiner Regie drehte sie unter anderen Filmen auch "Flesh and the Devil" (Das Fleisch und der Teufel) und "Anna Karenina". Brown berichtete einmal: "Greta Garbo hatte etwas, das sonst niemand im Film besaß. Ich konnte eine Szene mit ihr aufnehmen – recht gut. Es war immer ziemlich gut, aber ganz war ich nie zufrieden. Aber wenn ich dieselbe Szene auf der Leinwand sah, da war dieses Etwas in ihren Augen. Man konnte Gedanken in ihrem Blick sehen."
Greta Garbos Filminhalte wurden so gewählt, daß Themen und Partner wie der Einbruch in das Geheimnis einer schläfrigen Göttin erschienen. Immer war sie die Frau, die an ihrer Hinwendung zum Partner leidet. Als "Mata Hari" (Regie George Fitzmaurice), als "Kameliendame" (George Cukor) und als "Anna Karenina" geht sie sogar daran zugrunde. Ganz spät erst durfte sie von Ihrem imaginären Thron herabsteigen, in Ernst Lubitschs Spionagekomödie "Ninotschka" (1939), die aus heutiger Sicht am modernsten wirkt. Dann kam schon ihr letzter Film: "Die Frau mit den zwei Gesichtern" (1941). Nicht jeder fand diese Wandlung zur kameradschaftlichen Frau gelungen. Kurz danach brach obendrein der Zweite Weltkrieg aus. Und der europäische Markt, von dem sich Hollywood so gut ernährt hatte, ging verloren. Greta Garbos Entscheidung, nicht mehr zu filmen, war absolut.
"Ich habe mein Leben verpfuscht", soll sie gesagt haben. Zahlreiche Legenden sind gewoben worden, zahlreiche Biographien erschienen, Bildbände mit frühen Aufnahmen und neuen, mit heimlich zwischen Bäumen geschossenen Fotos einer alternden Frau mit Sonnenbrille und Schlapphut. Doch wie im Film ist ihr auch im Leben offenbar niemand wirklich nahegekommen.