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Die Legende der Einsamkeit

Greta Garbo,
die Göttliche,
starb 84jährig in New York

     Unter den elf Personen, die am 19. März 1931 dem großen deutschen Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau in einem kitschigen "funeral saloon" von Hollywood die letzte Ehre erwiesen, war die gerade erst 26jährige Greta Garbo der einzige Star. Mit ihrem ersten Tonfilm Anna Christie, der die Welt mit ihrer dunklen Altstimme vertraut machte, hatte sie ihren ersten gigantischen Erfolg. Trotzdem gehörte Mut dazu, auf Murnaus Beerdigung zu gehen, denn der Tod dieses Heimatlosen war schnell von Legenden und Gerüchten begleitet.

          
GRETA GARBO in As You Desire Me (1932)
und als Königin Christine (1933).

     Aber Greta Garbo, eine unkonventionelle Schwedin, die über Deutschland (Die freudlose Gasse, 1925) nach Hollywood gekommen war, gab Murnau nicht nur das letzte Geleit; sie bewahrte auch viele Jahre die Totenmaske jenes Mannes auf, der von sich gesagt hatte: "Ich bin nirgends zu Hause – in keinem Land und in keinem Haus, in keinem Menschen." Erstaunlich, wie eine junge Frau in einem Mann, den sie kaum kannte, ihr eigenes Wesen klarsichtig und selbstgewiß erkannte; wie sie im Schicksal dieses unglücklichen Deutschen ihre eigene, lebenslange Existenz der Einsamkeit vorhersah.
     Nur zehn Jahre später, nach dem vergleichsweisen Mißerfolg von Die Frau mit den zwei Gesichtern (1941), zieht sich die Garbo, schon längst auf der ganzen Welt als "Die Göttliche" gefeiert, ebenso entschlossen wie unverstanden abrupt vom Filmgeschäft zurück. Sie, der Inbegriff der Schönheit in diesem Jahrhundert, verbirgt sich kompromißlos vor der Welt in selbstgewählter Einsamkeit. Nichts, kein noch so verlockendes Angebot, hat sie in ihrem Entschluß jemals erschüttert.

 

Idol der Schönheit

     Seither ist alles über sie geschrieben worden, was an Fakten aufzutreiben und an Gerüchten zu verhökern war. Daß ihrer Biographie über fast ein halbes Jahrhundert hinweg praktisch nichts Konkretes mehr hinzuzufügen war, tat ihrer Berühmtheit, ihrer Popularität und dem Starkult um sie nicht den geringsten Abbruch. Mag der eine oder andere aufdringliche Photograph die alternde Frau mit Schlapphut, dunkler Sonnenbrille und nachlässiger Kleidung dokumentiert haben als menschliches Wesen, das wie alle anderen auch dem unerbittlichen Lauf der Zeit unterliegt – im Gedächtnis blieb sie, darin wahrhaft eine Göttliche, als der alterslose Ausdruck zeitloser Schönheit. Wenn das 20. Jahrhundert ein Idol hervorgebracht hat, das es mit der Venus von Milo aufnehmen kann, dann Greta Garbo.

                    
ANNA KARENINA drehte die Garbo 1927; zwei Jahre später Mata Hari. Das Photo rechts aus dem Bildband „Greta Garbo“ von Alexander Walker (Christian Verlag) zeigt sie 1949, als sie einem aufdringlichen New Yorker Reporter die Tür vor der Nase zuschlägt.

     Denn wie ihr Künstlername war diese Greta Lovisa Gustafsson, am 18. September 1905 in Stockholm geboren, ein Kunstobjekt. Der Männer haben dieses Kunstgebilde erschaffen: der Regisseur Mauritz Stiller (ihr Entdecker), der Kameramann William Daniels und Clarence Sinclair Bull, der Star-Photograph von MGM. Sie haben, wenn man so will, die rohe Materie eines hübschen nordischen Naturmädchens gebildet, bis daraus ein in der ganzen Welt bewundertes Ideal der Frau an sich geworden ist. Aber diese drei Pygmalions hätten sicherlich wenig Efolg gehabt ohne das Wesen ihres Geschöpfs sowie dem entscheidenden Umstand, daß es sich dieses Wesens sehr früh sehr bewußt war.

 

Die Unberührte
     Schon 1933 – nach ihrem Tonfilmdebüt waren inzwischen Susan Lennox, As You Desire Me, Romance, Mata Hari, Grand Hotel und Queen Christina hinzugekommen, aber die größten Erfolge wie Anna Karenina, Camille, Marie Walewska und Ninotschka standen noch aus – 1933 also schrieb Siegfried Kracauer: "Was sich in der Garbo kundgibt, ist die gebildete Natur. Eine, die den Geist annimmt und durchläßt, statt sich gegen ihn zu empören, und sich überhaupt allen wirklichen Mächten öffnet, die an die Existenz des Menschen rühren."
     Eben dies, daß wahre Schönheit gerade nicht mit Dummheit einhergeht, haben die meisten Versuche, das Geheimnis der Garboschen Schönheit zu entschlüsseln, ignoriert. Natürlich läßt sich die hohe Kunst gerade von Daniels und Bull, die solch unergründliche Augen sehnsüchtig ins Nirgendwo schweifen ließen und das relativ flache Gesicht zur tiefgründigen Seelenlandschaft ausleuchteten, ziemlich exakt beschrieben. Aber das Geheimnis, wenn es denn überhaupt zu lüften ist, wird damit nur oberflächlich berührt. Daß die Garbo laut Kracauer "ihre eigene Existenz zum Tönen" brachte, kommt der Sache schon näher; noch näher die Einsicht, ""aß sich die Garbo, um ihren Gestaltungen die generelle Gültigkeit zu wahren, unberührt erhalten muß, daß sie sich nicht ins gelebte Leben mischen darf, dessen Bindungen die Reinheit ihrer Existenz trübten".


EINE PERFEKTE HÜLLE für alle Sehnsüchte der Einsamkeit: Greta Garbo in der Rolle der Ninotschka, photographiert von Clarence Sinclair Bull. Das Photo – wie auch die in anderen Rollen auf dieser Seite – stammt aus dem sehr schönen, sehr aufwendigen Bild-band „Clarence Sinclair Bull – Starphotograph bei MGM“, der vor wenigen Monaten auf deutsch bei Schirmer/Mosel erschienen ist.

     Jetzt ist es nur noch ein Schritt: Die Einsamkeit einer schönen Frau, die übrigens gar keine so begnadete Schauspielerin ist, vermählt sich in dem innersten Wesen des Mediums, dem sie dient. Im dunklen Kino ist jeder einsam, und die Projektion der Körper auf der Leinwand wird zur Hülle, in die ein jeder seine Sehnsüchte füllen darf.
     Nicht daß sie schön war, daß sie meist verlassene, ganz auf sich selbst zurückgeworfene Frauen spielte, machte sie zur herausragenden Kinofigur, sondern daß sie selber einsam war, eine Körper gewordene Hülle nicht von Leere, doch von existentieller Unerfülltheit. Das machte sie zum fraulichen (nicht weiblichen!) Pendant jener anderen unsterblichen Figur, die schon früh alles in sich bündelte, was das Kino hervorgebracht hat: Charlie Chaplin. Die göttliche Garbo ist das notwendig elegisch-melodramatische Gegenstück zu Chaplins rüden und sentimentalen Vagabunden – beide notwendigerweise unbehaust.
     "Ich möchte von niemand irgendwelche Aufmerksamkeit, außer wenn ich weiß, daß jemand mich mag, und dann ist es schön. Sonst widert es mich an." So hat Life sie noch im letzten Jahr zitiert. Daß die Person Greta Garbo am Ostersonntag in einem New Yorker Krankenhaus gestorben ist, sei darum aus Journalistenpflicht gemeldet. Die Gefühle, die jene Kinofigur auf sich zieht, die längst zu einer Legende geworden ist, gehören aber jener Göttlichen, die der Diskretion nicht bedarf, weil sie darüber erhaben ist.

PETER BUCHKA

 

from:   ???,         1990
© Copyright by   PETER BUCHKA

 

 

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