Das Antlitz reiner Liebe Schon zu ihrem achtzigsten Geburtstag mußte man tief in die Archive greifen, um den wundersamen Aufstieg der kleinen schwedischen Warenhausverkäuferin Greta Lovisa Gustafsson zum großen amerikanischen Weltstar Greta Garbo in Erinnerung zu rufen. Die weltweit Bewunderte war damals schon über vier Jahrzehnte hinweg nicht mehr auf der Leinwand erschienen und den nachfolgenden Generationen nur aus Wiederaufführungen alter Filme bekannt. Es gab in jenen Jahrzehnten hin und wieder Spekulationen, daß sie eine neue Filmrolle angenommen habe. Aber selbst zwei Millionen Dollar Gage, 1959 ein großes Angebot für ein Comeback, konnten sie nicht zur Rückkehr bewegen. Greta Garbo wußte wohl, daß sie als die große tragische Liebende auf der Leinwand ausgespielt hatte. Weder Max Ophüls noch Luchino Visconti konnten sie überreden. Auch Tennessee Williams nicht, der ihr schrieb: "Sie sind die einzige große Tragödin, die der Film besitzt. Warum nehmen Sie ihre Arbeit nicht wieder auf?" Sie antwortete dem Dichter nicht einmal.
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Ausflug in die Komödie |
Natürlich hätte es noch eine ganze Reihe von großen Rollen für sie gegeben, mit denen sie auch geliebäugelt hat. So Balzacs "Herzogin von Langlais", Daudets "Sappho", den "Hamlet" von Gertrude Stein oder die "Madame Curie". Aber es war nach ihrem Ausflug ins Komödienfach die Göttinnen-Dämmerung ausgebrochen. Hollywoods großmächtige Produzenten hatten sie, in der allein kommerziellen Einschätzung ihres Anschau-Wertes, in ein Geleise gezwängt, das ihren Nimbus zerstörte. Bei der vom Könner Lubitsch inszenierten "Ninotschka" ging es noch gut. Als die russische Kommissarin, die kritisch-staunend kapitalistischen Luxus erlebt und ihm charmant unterliegt, zum erstenmal laut lacht, war der gewünschte Überraschungserfolg da. So hatte die Welt ihr Idol noch nie gesehen. Aber bereits der zweite Versuch, diese Heroin des Gefühls als amüsante Komödiendarstellerin zu zeigen, mißlang gründlich. "Die Frau mit den zwei Gesichtern" wurde ein grandioser Mißerfolg. Niemand wollte Greta Garbo, die hagere, etwas ungelenke Erscheinung im Badeanzug und dazu noch frivol sehen. Die darauf folgende brutale Kündigung von MGM verletzte sie tief. Sie kehrte dem Film den Rücken und zog sich mit bewundernswerter Konsequenz ins Privatleben zurück.
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Die große Sammlerin |
Sie bewohnte in New York in der Nähe des East River ein geräumiges Appartement, das eine Sammlung von wertvollen Gemälden beherbergte. Bekannt waren auch ihre Stunden dauernden Spaziergänge, ihre Vorliebe für saloppe Kleidung, hier und da ein Gespräch mit dem Floristen in ihrer Straße, hier und da ein Kino- oder Theaterbesuch. Ihre Gagen hatte sie klug in Grundstücken angelegt, was einen wachen Sinn für das Lebensnotwendige erkennen ließ. Kein Wunder, daß sich viele berufen fühlten, das "Geheimnis" Greta Garbo, ihre Aura zu deuten und herauszufinden, was dahinterstecken könnte. Es ist die zudringliche Neugier unserer Medien, die keinen Respekt vor einer privaten Sphäre kennt. Und die kein Geheimnis duldet. Greta Garbo hat zu ihrer Zeit der Welt ein bewundertes, romanhaft schönes Frauenbild auf der Leinwand gegeben; das Ebenmaß ihres Gesichtes, das manche Kritiker ehrfurchtsvoll Antlitz nannten, war ein beglückender Anblick. Damit sollte die Welt zufrieden sein; aus welchen Gründen sie auch immer ihr privates Leben so konsequent geschützt hat, sollten wir nicht zu ergründen suchen. Hoffentlich bleiben ihre Freunde nun nach ihrem Tod, der sie am Ostersonntagnachmittag in einem New Yorker Krankenhaus ereilte (Todesursache unbekannt, Beerdigung am Freitag im engsten Familienkreis), weiterhin ihre Freunde und schweigen. |
from: ???, April 1990
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