Greta Garbo Fast ein halbes
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Ein kühler Herbstmorgen in Manhattan. Die bleiche Sonne über der 52. Straße spiegelt sich matt in den Fenstern der feudalen Apartmentblocks. Ältere Damen im Nerz führen ihre Pudel aus, Kindermädchen gehen mit ihren Schützlingen spazieren, die Portiers vor den Häusern unterdrücken mühsam ein Gähnen. Plötzlich tritt eine alte Frau mit überdimensionaler Sonnenbrille, Wollmütze und dickem Schal aus der Tür, schaut sich nach allen Seiten um und geht die Straße entlang. Schlagartig verändert sich die Szene: Die Türsteher nehmen Haltung an, die Kindermädchen verlangsamen ihren Schritt, die Pudel-Ladies reißen die lila umschminkten Augen auf.
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Das einzige, was in ihrem Leben eindeutig ist, sind Fakten und Daten: Greta Lovisa, drittes Kind des armen schwedischen Straßenkehrers Karl Alfred Gustafsson, der allzu früh stirbt, muß mit 15 die Schule verlassen, um zum Familienunterhalt beizutragen. Sie arbeitet erst in einem Frisiersalon als Mädchen für alles, dann in einem Kaufhaus, wo sie von der Packerin zum Katalog-Modell aufsteigt. Sie schwärmt fürs Theater, wird von einem mittelmäßigen, heute längst vergessenen Regisseur namens Eric A. Petschler entdeckt und darf in dem albernen Film „Peter, der Tramp“ eine Minirolle spielen. Es folgen Schauspielunterricht am Dramatischen Theater Stockholm – du ihr zweiter, eigentlicher Entdecker: der heute ebenfalls vergessene, damals aber anerkannte Regisseur Mauritz Stiller, der ihr eine Rolle im Film „Gösta Berling“ (nach dem Roman von Selma Lagerlöf) gibt und sie schließlich 1925 über Berlin nach Hollywood bringt. „Ein solches Gesicht bekommt man nur einmal in einem Jahrhundert vor die Kamera“, hatte Stiller gesagt. Louis B. Mayer, mächtiger Boß der Filmgesellschaft Metro Goldwyn Mayer, war ebenso fasziniert: „Schön ist sie, überirdisch schön!“ Bereits nach ihrem Hollywood-Debüt „Fluten der Leidenschaft“, in dem sie an der Seite von Ricardo Cortez spielte – besser gesagt: ihn total an die Wand spielte – lagen ihr Kritiker und Publikum zu Füßen. Ihr Schauspieltalent war unumstritten, aber mehr noch wurde ihre Schönheit bewundert, die Art, wie die Garbo sie auf der Leinwand einsetzte: Schönheit in ihrer reinsten Form, von nordländischer Kühle, die dem Star stets etwas Entrücktes, Geheimnisvolles gab. So sehr Hollywood Greta Garbo auch in die Rolle eines Vamps zu pressen versuchte – sie blieb die hoheitsvolle Unberührbare, für Männer nur in ihren Träumen erreichbar, von Frauen verehrt, denn wie sollte man einem „göttlichen Wesen“ mit Eifersucht begegnen? 1939, in dem Film „Ninotschka“ von Ernst Lubitsch, sah man die Garbo zum ersten Mal lachen. Das neue Image der „normalen Frau“ bekam ihrer Karriere nicht. Die zweite Komödie „Die Frau mit den zwei Gesichtern“, die die Göttliche 1941 allzu menschlich zeigte, wurde gar ein völliger Flop: Greta Garbo zog sich spontan vom Film zurück. 27 Filme (ihre schönsten: „Anna Karenina“, „Königin Christine“, „Die Kameliendame“) hat sie gedreht, dabei ein Millionenvermögen gemacht, von dem sie seit nunmehr 47 Jahren lebt. Reiche Freunde wie Onassis und Mitglieder der Familie Rothschild legten es für sie gewinnbringend an. Zahlen und Fakten – aber was sagen sie schön über die Persönlichkeit Greta Garbos aus? Wie war sie, wie ist sie? Wie sah, wie sieht sie das Leben, die Liebe? Fragen, die sie nie beantwortet hat, Fragen, die sie nicht mehr beantworten wird, denn die 83jährige ist menschenscheuer denn je. Alles, was wir über sie wissen, stammt von Menschen, die sie kannten. Und vielleicht doch überhaupt nicht kannten. Liebesaffären soll sie reichlich gehabt haben: Mit ihrem Entdecker Stiller, mit Filmpartner John Gilbert, dem sie angeblich zweimal kurz vor der Trauung davonlief, mit dem großen Dirigenten Leopold Stokowski, dem Starfotografen Beaton, mit dem Millionär Schlee oder dem Diät-Experten Gaylord Hauser. Sie schwieg zu allen Gerüchten – und hat nie geheiratet. „Sie ist der gehemmteste Mensch, mit dem ich je arbeitete“, klagte Regisseur Lubitsch. „Ähnlich schwierig war nur Gary Cooper.“ Entdecker Stiller rätselte: „Ihre Angst vor Menschen ist unerklärlich.“ Ein Journalist, der die Garbo auf Festen beobachtete, urteilte: „Sie war der Tod einer jeden Party. Sie verbreitete eine Aura der Einsamkeit um sich herum.“ Die Floristin in der 52. Straße, Manhattan, sagt: „Blumen kauft die Garbo nie. Dabei sind Blumen doch ein Ausdruck von Lebensfreude! Manchmal denke ich, daß sie ohne ihre Schönheit und ihren Ruhm eine glückliche Frau hätte werden können.“ |
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G. P. |
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Fotos: Intertopics (2), Karkosch (5), Pandis (1), Süddeutscher Verlag (5) |
from: Frau im Spiegel 1988 Nr. 49
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