Unsterbliche
soll man nicht stören
Greta Garbo feiert 80. Geburtstag. Es wird ein Geburtstag in aller Stille. Denn die "Göttliche", wie die gebürtige Schwedin seit ihren großen Filmerfolgen in den dreißiger Jahren genannt wird, scheut schon seit Jahrzehnten die Öffentlichkeit. Für HÖRZU schildert ein enger Garbo-Freund das Leben einer Frau, die einmal das große Idol einer Epoche war
Langsam schob sich der Schwimmkran durch die trüben Fluten des New Yorker East River. Vor der Hinterfront eines Wohnblocks an der 52. Straße machte er halt. Ein Kameramann der Fernsehgesellschaft CBS kletterte auf den Ausleger und ließ sich nach oben ziehen, direkt vor die Fenster einer Siebenzimmerwohnung im fünften Stock. Doch noch bevor er auf den Auslöser drücken konnte, wurden die Vorhänge zugezogen. Wieder einmal war der Versuch mißlungen, Greta Garbo so zu zeigen, wie sie heute lebt.
So wird denn die größte Fernsehanstalt der Welt den 80. Geburtstag der "Unsterblichen" mit Filmen aus dem Archiv bestreiten müssen – genau wie auch das ZDF, das am Samstag, den 21.9., den Spielfilm "Anna Christie" ausstrahlt.
Seit ihrem letzten Film ("Die Frau mit den zwei Gesichtern", 1941) hat Greta Garbo ihr klassisches Profil nie wieder freiwillig vor eine Kamera gehalten. Nur ein paar unscharfe Schnappschüsse gibt es seitdem von der Frau, die einmal das Idol einer Epoche war.
Als ich sie zum erstenmal sah, war sie schon fast 60 – und immer noch faszinierend schön. Wir trafen uns bei gemeinsamen Freunden, und das Gespräch drehte sich, wie fast alle Gespräche in jenen Tagen, um den Krieg in Vietnam. Greta beteiligte sich nur zögernd. Obwohl sie überraschend gut informiert war, beendete sie fast jeden ihrer Sätze mit einem verlegenen: "Ihr wißt das alles natürlich viel besser als ich."
Die göttliche Garbo, Tochter eines Kopenhagener Müllkutschers, fühlte sich unbehaglich in einer Runde, die ihrer Art zu leben nicht entsprach.
Wenig später begegnete ich ihr abermals – im schweizerischen Kurort Klosters, auf einer Party der amerikanischen Filmschauspielerin Deborah Kerr. Hier, unter ihresgleichen, sprühte sie vor Witz und erzählte eine Anekdote nach der anderen.
Der berühmte Maler Salvador Dali, sagte sie, habe ihr einmal das Bild eines Totenkopfes gezeigt, den er aus den Fotos sechs nackter Mädchen zusammengeklebt hatte.
"Er wollte mich schockieren", kicherte sie zwischen zwei Martinis. "Aber ich habe ihm klargemacht, daß er mit 16 nackten Mädchen einen noch viel größeren Effekt erzielen würde, allein schon wegen der Details. Und was soll ich Ihnen sagen – er machte sich sofort an die Arbeit."
Die Garbo, ein Geschöpf voller Gegensätze und Widersprüche. Aber stets mit beiden Beinen auf der Erde.
"Greta ist eine clevere Geschäftsfrau", sagte mir einmal der New Yorker Bankier Erich Goldschmidt. "Ihre Häuserblocks in Manhattan und Beverly Hills werfen jedes Jahr mehrere hunderttausend Dollar Mietzins ab. beim Einkaufen dreht sie jeden Cent zweimal um. Sie hat eine feine Nase fürs Geld."
22 Jahre war sie alt und verdiente 600 Dollar pro Woche, als sie den mächtigen Hollywood-Magnaten Louis Mayer um eine Gehaltserhöhung bat. "In Ordnung", sagte Mayer. "Ab sofort bekommen Sie 700." Die Garbo ging wortlos zur Tür. "Wieviel wollen Sie denn?" rief Mayer hinter ihr her. "5000 und keinen Cent weniger", verlangte die Garbo. Mayer fiel fast vom Stuhl, tobte, zeterte – und zahlte: 5000 und keinen Cent weniger.
Zehn Jahre später, 1937, stand sie auf dem Gipfel ihres Ruhms, verdiente eine halbe Million Dollar im Jahr, drehte einen Film nach dem anderen – und litt.
"Je heller ihr Stern am Kinohimmel strahlte, desto düsterer wurde es in ihrem Herzen", schrieb einer ihrer Biographen. Es traf den Kern.
Ausgerechnet sie, die schönste Frau der Welt, Mittelpunkt von Millionen Männerträumen, blieb zeit ihres Lebens einsam. Der erste Mann, in den sie sich verliebte, war ihr Filmpartner John Gilbert. Zweimal war der Hochzeitstermin bereits festgelegt, zweimal ergriff die Garbo kurz vor dem Glockenläuten die Flucht.
Ähnlich glücklos endeten auch ihre Affären mit dem berühmten Regisseur Rouben Mamoulian und Dirigenten Leopold Stokowski.
Glücklich war die Garbo nur einmal in ihrem Leben: an der Seite des Kunstsammlers George Schlee. Einer ihrer Vertrauten erzählte dazu folgende Geschichte.
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Am 12. August 1958 waren die beiden zu Gast auf der Onassis-Yacht "Christina" – zusammen mit Sir Winston Churchill und dem englischen Zeitungsverleger Lord Beaverbrook. Schon nach den ersten Minuten des Gesprächs knurrte Churchill: "Nehmen Sie doch Ihre dunkle Brille ab; ich möchte Sie sehen!"
Die Garbo gehorchte – brav wie ein Schulmädchen. Und alle blickten in das sanft errötende Gesicht einer verliebten Frau. Lord Beaverbrook blieb dieser Augenblick unvergeßlich: "Sie sah plötzlich zwanzig Jahre jünger aus."
Sechs Jahre danach, im Oktober 1964, erlag Schlee in einem Appartment des Pariser Hotels Crillon einen Herzinfarkt. Fortan verbarg sie ihr Gesicht unter breitkrempigen Hüten und legte nie wieder ihre dunkle Brille ab.
Kürzlich sah ich sie die 57. Straße in Manhattan überqueren, in engen Männerhosen, auf dem Kopf einen zerknautschten Regenhut. Niemand erkannte sie. ich wollte hinter ihr her eilen, sie begrüßen, von den alten Zeiten reden. Ich tat es nicht. Unsterbliche soll man nicht stören. |