ABSTIEG IN DEN RUHM
GRETA GARBO
– eine unsterbliche Legende? Das Phänomen dieser Schauspielerin hat viele Gemüter bewegt. Vor vielen, vielen Jahren, als man sie als „die Göttliche“ am Hollywooder Filmolymp ansiedelte, Jahre danach, als man das Geheimnis des schweigenden Stars lüften wollte, und auch heute noch, wo jüngst ihr cineastisches Comeback verkündet wurde. Sie soll, wie es einer Pressenotiz zu entnehmen war, die Titelrolle in einem MGM-Film über die indische Schwester und Nobelpreisträgerin Theresa spielen. Diese Nachricht aber soll, wie schon so oft, eine jener Geschichten sein, wie sie seit Jahrzehnten um Greta Garbo gewoben werden. Und davon gibt es diverse, un- und seriöse.
Fast alle wollen nunmehr die „ganze Wahrheit“ verkünden. Viel und flüssiges, allzu viel und überflüssiges ist über das „Lichtbild und Schattensein“ der Garbo orakelt worden, fleißig hat sich die schreibende Zunft dem Besonderen ihrer Darstellung zugewandt, ihr Ideal gedeutet, das mögliche Idol beschrieben. Doch wo sich ansonsten Götter und Geister scheiden, war und ist man sich über die „himmlische Sphinx“, so eines der Garbo-Etiketten, fast ausnahmslos einig: in der Beschreibung ihrer Schönheit. So schrieb Herbert Jhering ihr Gesicht gäbe jede zarteste Regung wieder und seit der legendären Eleonora Duse habe man eine solche Differenzierung nicht gesehen. Rühmt Dichter Klaus Mann das schönste Gesicht, das er jemals gesehen habe, schreibt einer der berühmtesten Filmkritiker, Siegfried Kracauer, 1933: „Sie hat keine Eigenschaft, sie ist Schönheit schlechthin...
Das eigentliche Geheimnis der Garbo besteht eben darin, daß sie einen Typus versinnlicht, der gar kein Typus ist, sondern gewissermaßen die Gattung selber repräsentiert.“ Abgesehen davon, daß sich fast nur Männer zur Garbo äußern, ließe sich die Liste der superlativischen Zitate beliebig erweitern, das oft genannte Mädchen Mona Lisa würde jeden Vergleich verlieren. Dieses und ähnliches würde zur Zeit nichts an der Garbo-Legende ändern, warum auch, denn keiner ihrer Filme hat trotz „göttlicher“ Mitwirkung Filmgeschichte gemacht. Dafür aber jene Greta Lovisa Gustafson, so ihr bürgerlicher Name, die nach „verbürgten“ Quellen im September ihren 75. Geburtstag beging.
Am 18. September 1905 in Stockholm geboren, hatte die kleine Greta alles andere als eine auf späteren Ruhm bedachte Kindheit. Als Kind armer Leute mußte sie nach dem frühen Tod des Vaters für den Unterhalt der Familie sorgen, Ihre erste „öffentlichen“ Auftritte machte sie als Friseuse in einem Herrensalon, später als Verkäuferin in einem Stockholmer Kaufhaus. Ihr Debüt hatte sie in zwei kleinen Werbefilmen, denen 1922 die Mitwirkung an der Filmposse „Luffar Peter“ folgte. Von Ruhm noch keine Spur, an der Stockholmer Schauspielschule lernte sie erst einmal das mimische Abc. 1923 dann, nach der Vorstellung von Ibsens „Frau vom Meere“, worin sie die Rolle der Ellida spielte, erhält sie ein folgenschweres Telegramm. Der Absender war Mauritz Stiller, den man später als ihren Entdecker bezeichnen wird. Der Text lautete: „Unternehmen Sie nichts für den Sommer! Stiller.“ Ihr erster Film, der ihren Namen national bekannt machte, was die von Stiller besorgte Verfilmung von Lagerlöfs „Gösta Berling“. Dem Erfolg dieses Films folgte ein Abstecher nach Berlin, wo sie 1925 in Georg W. Pabst Streifen „Die freudlose Gasse“ zusammen mit Asta Nielsen spielte. Dem „deutschen Zwischenspiel“ folgte das Engagement durch Louis B. Mayer, einem der Mitbegründer der „Metro-Goldwyn-Mayer“-Studios. Greta Garbo nunmehr in Hollywood, der oft zitierte Aufstieg von „unten nach oben“ kann stattfinden. Verwunderlich allerdings, daß trotz zählebiger Legendenbildung um die Garbo die sogenannte öffentliche Meinung Amerikas sie nicht zu den auserwählten Göttern zählt. Irgendwo an sechzigster Stelle rangiert sie in der Publikumsgunst. Ihr traumhafter Erfolg scheint ein auf europäische Kinoverhältnisse kalkuliertes Geschäft zu sein. Kaum einer ihrer amerikanischen Filme spielt in den USA die Produktionskosten ein, in Europa allerdings Rekordsummen. So mit Filmen wie „Anna Christie“ (1930, ihr erster Tonfilm), „Aufstieg und Fall der Susan Lennox“ (1931), „Mata Hari“ (1931), „Menschen im Hotel“ (1932), „Königin Christine“ (1933), „Anna Karenina (1935), „Die Kameliendame“ (1937) und „Ninotschka“ (1939). Ihren letzten Film, der gleichsam ein wirtschaftliches wie künstlerisches Fiasko war, drehte sie 1941: „Die Frau mit den zwei Gesichtern“. Danach zog sie sich für immer vom Film zurück, blieb dennoch das Objekt kultischer Verehrung. Alle Filme jener Jahre sind fast ausnahmslos melodramatische Romanzen, vergilbte Streifen vergangener Kinozeiten. daran ändert auch die vielgepriesene Schönheit der „Göttlichen“ nichts, deren Image oft als Alibi für die unsterbliche Legende herhalten muß.
Béla Balázs, einer der renommierten Filmtheoretiker, schrieb über den legendären Mythos der Garbo: „So empfindet heute selbst der Kleinbürger ohne jedes bewußt politische Wissen, daß die leidende und traurige Schönheit, deren Gesten so sind, als ekelte ihr vor der Berührung mit dieser schmutzigen Welt, einen höheren organisierten, seelisch reinen, geistig vornehmeren Menschen ausdrückt. Die Schönheit ist in der bürgerlichen Welt eine oppositionelle Schönheit. In der Physiognomie Greta Garbos sehen die Millionen einen schmerzlichen und passiven Protest, Millionen, die sich ihres eigenen leidenden Protests vielleicht noch gar nicht bewußt geworden sind. Aber gerade darum gefällt ihnen Greta Garbos Schönheit, und diese ist für sie die schönste der Schönheiten.“ Jene Worte sind nun mittlerweile auch schon drei Jahrzehnte alt. Wie die (Kino)-Zeit verrinnt!
Joachim Maaß
Fotos: Archiv
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