Greta G.

Über Greta Garbo ist schon viel geschrieben worden. Meist waren es Spekulationen, den die „Göttliche“ Galt schon als unnahbar und war es wohl auch. Jetzt liegen zwei Memoirenbände (Salka Viertel „Das unbelehrbare Herz“ und Mercedes de Acosta „Here lies the Heart“, Hier liegt mein Herz), die beide von Drehbuchautorinnen, die auch Filme für die Garbo geschrieben und die 30er und 40er Jahre, die Blütezeit von Hollywood miterlebt haben, kommen. Die jüngst in der Schweiz verstorbene Salka war jahrzehntelang Garbos beste Freundin, und Mercedes hat wohl in einem bestimmten Moment ebenfalls eine Rolle in Garbos Leben gespielt. Vor allem in einem Punkt sind die beiden Bücher aus sehr unterschiedlicher Sicht geschrieben: in dem einen, in Salkas Erinnerungen, spielen Frauen nur Neben- und Statistenrollen; in dem anderen, in Mercedes Rückblick, haben Frauen die Hauptrolle. Nach Salkas Lektüre drängt sich der Verdacht auf, die Weigel zum Beispiel habe für Brecht im Exil nur Guglhopf gebacken, und Geniales sei überhaupt eine reinmännliche Domäne, während Frauen der verdienstvolle Part des Lebenmeisterns blieb. Geschwärmt wird bei Salka nur für Männer, Frauen sind bestenfalls verlässliche Personen. Das ganze Gegenteil nun bei Mercedes, die in ihren nicht ganz uneitlen Erinnerungen alle von ihr verehrten Frauen Revue passieren lässt. Eine davon ist Greta Garbo. Was Mercedes de Acosta über sie schreibt, ist zum Teil ärgerlich (weil indiskret und anmaßend), aber auch erfreulich und überraschend: der folgende Auszug aus Mercedes Memoiren zeigt Züge am Menschen Garbo, die dem Mythos Garbo nie zugestanden wurden. Sportlich ist sie und stark, einen sehr eigenen Willen hat sie und Humor. Und vor allem scheint sie – im Gegensatz zu ihren Rollen! – nicht jede Sekunde ihres Lebens damit verbracht zu haben, einem Mann nachzuschmachten. Auch Frauen hatten offensichtlich Platz in Garbos Leben.

 

Greta Garbo (Mitte) mit Freundinnen
in Hollywood. Rechts Salka Viertel.

 

Salka Viertel wohnte in der Maberry Road in Santa Monica. Ich hatte keine Ahnung, wo das war, aber ich gab dem Taxifahrer die Adresse, und wir fuhren in Richtung Meer davon. Sie eröffnete mir, eine Freundin von ihr werde kommen, die den Wunsch geäußert hatte, mich kennenzulernen. Sie gab sich Mühe, natürlich zu sprechen, so, als ob der Name gang und gäbe wäre: „Greta Garbo.“
     In diesem Augenblick trat Salkas Mann Berthold in den Raum mit ihrem kleinen Sohn Tommy. Berthold war Schriftsteller, aber mit seinem vollen, welligen weißen Haar, das er ziemlich lang trug, sah er eher wie ein Musiker aus. Er war sanft und einfühlsam, sehr poetisch und wirkte äußerst europäisch. Mir kam er in Hollywood immer vor wie ein Fisch auf dem Land. Wir sprachen über verschiedene Themen und tranken nach gut deutscher Sitte Kaffee, obwohl es einen Einladung zum Tee war. Plötzlich läutete es an der Tür. Salka ging, um zu öffnen.
     Ich hörte eine sehr dunkle Stimme etwas aus deutsch sagen. Sie war natürlich unverkennbar, wenn ich sie auch erst einmal zuvor vernommen hatte – in „Anna Christie“, dem einzigen Tonfilm, den Greta bis zu der Zeit gedreht hatte.
     Es ist merkwürdig, wie etwas, das in der Phantasie außergewöhnlich scheint, plötzlich ganz selbstverständlich werden kann, wenn es tatsächlich passiert. Es schien mir das Natürlichste der Welt, Greta in diesem Augenblick leibhaftig vor mir zu haben. Als wir uns die Hand gaben und sie mich anlächelte, hatte ich das Gefühl, sie mein Leben lang, ja sogar in vielen früheren Leben, gekannt zu haben.
     Wie ich erwartete hatte, war sie bemerkenswert schön, viel schöner, als es in ihren damaligen Filmen den Anschein hatte. Sie trug einen weißen Pullover und dunkelblaue Seemannshosen. Ihre Füße waren nackt und, wie ihre Hände, schlank und feinfühlig. Ihr glattes Haar fiel ihr bis auf die Schultern, und sie hatte sich eine weiße Tennissonnenblende tief ins Gesicht gezogen, um ihre Augen zu verberge, in denen die Ewigkeit eingefangen schien. Wenn sie sprach, bezauberten mich nicht nur Tonfall und Intensität ihrer Stimme, sondern auch ihr Akzent. Zu dieser Zeit sprach sie ein ziemlich fehlerhaftes Englisch mit starkem schwedischen Akzent. Seltsamerweise waren ihre Worte oft ausdrucksvoller als die korrekten.

     Sie blieb nicht lange. Sie erklärte mir, dass sie immer noch bei den Dreharbeiten zu „Susan Lennox“ (Helgas Fall und Aufstieg) war und nur ausnahmsweise diese Einladung angenommen hatte. „Ich gehe nie aus, wenn ich drehe. Ode besser, ich gehe eigentlich gar nicht aus“, sagte sie und fügte lachen hinzu: „Jetzt gehe ich nach Hause zum Abendessen, das ich im Bett zu mir nehmen werde. Ich bin in der Tat ein hervorragendes Beispiel für das fröhliche Nachtleben in Hollywood!“
     Ich wollte sie frage, ob ich sie wiedersehen dürfte, aber ich fand nicht den Mut. Salka begleitete sie hinaus zu ihrem Wagen, und als sie zurückkam, sagte sie: „Greta mochte Sie, und sie mag kaum jemanden.“


Daisy, You're Driving Me Crazy

     Zwei Tage später – es war Sonntag – rief mich Salka an. Sie lud mich für halb zehn zum Frühstück ein an jenem Morgen. Greta würde auch da sein, und sie habe auch den Vorschlag gemacht, mich anzurufen.
     Ich warf mich in meine Kleider und kam Punkt halb zehn an. Greta war bereits da, diesmal in weißen Shorts und wieder mit Sonnenblende. Mir fiel auf, welch exquisite Farbe ihre Beine von der Sonne bekommen hatten. Bei dieser zweiten Begegnung war sie schöner, als ich es je für möglich gehalten hatte. Ihr Gesicht war frisch und leuchtete. Sie war strahlender Laune und sprühte vor Übermut.
     Es war ein herrlich sonniger Tag. Vom Fenster aus konnten wir den blauen Pazifik mit den bunten Segeln japanischer Fischerboote sehen. (Als der Krieg ausbrach, sagte man, diese japanischen Fischer seien Spione, die alle Schiffe meldeten, die vom Hafen von San Pedro ausliefen.) Wir legten Platten auf, rollten den Teppich im Wohnzimmer zusammen und tanzten. „Daisy, You're Driving Me Crazy“ sangen und tanzten wir immer wieder von neuem. Ich war begeistert von Gretas tiefer Stimme und ließ es sie ständig wiederholen, bis sie sagte: „Wir werden noch die Platten ausleiern, ganz zu schweigen von meiner arme Kehle.“ Auf „Ramona“ und „Goodnight Sweetheart“ tanzten wir Walzer. Schließlich landeten wir bei einem Tango mit „Schöner Gigolo“ – was damals der große Schrei war. Ich erwähne diese Melodien, weil sie mich wehmütig stimmen und mit dieser Zeit eng verknüpft sind.
     In der zweiten Nacht darauf klingelte das Telefon. Ich hörte Gretas Stimme: „Ich komme, um dich abzuholen. Ich bin ungefähr fünfhundert Kilometer entfernt und fahre in gleichmäßigem Tempo, so dass ich gegen Abend bei dir sein werde. Kannst du mit auf die Insel kommen?“ Ich war so aufgeregt, dass ich aufsprang und dachte, ich müsste sofort anfangen zu packen. Aber was packen? Praktisch nichts außer langen Hosen, ein paar Pullovern, Shorts und einem Badeanzug. Ich weckte John frühmorgens und erzählte ihm, dass Greta mich abholen kam. Der Gute war fast genauso aufgeregt wie ich. Er bestand darauf, dass wir etwas Köstliches zu essen und Champagner für sie bereit haben müssten, und machte sich den ganzen Tag in der Küche zu schaffen. Gegen Mitternacht des folgenden Tages bog die große schwarze Limousine langsam in die Einfahrt ein. Dann hörte ich James hupen und eilte aus dem Haus. Greta stieg erschöpft aus dem Wagen. Sie waren drei Tage lang unterwegs gewesen und hatten nur zum Essen angehalten. Bei 60 Grad waren sie durch die Mojave-Wüste gefahren. Greta schwärmte von der unbeschreiblich schönen Landschaft und dem See. „Ich musste zurückkommen, um dich zu holen, denn es wäre gemein von mir gewesen, so viel Schönheit für mich zu behalten.“

     Am späten Nachmittag brachen wir mit meinem Wagen auf. Greta und ich auf dem Rücksitz, und James fuhr. Greta fragte ihn, ob er nicht zu müde sei, an jenem Tag loszufahren, und als er mit „Nein, Ma'am antwortete, wussten wir, dass alles in bester Ordnung war. Wir hatten vor, die Wüste bei Nacht zu durchqueren, um der Hitze so weit wie möglich zu entgehen. Unser Ziel war Nevada, das jenseits der Mojave-Wüste lag. Aber als wir die Wüste erreichten, war die Temperatur auf über 65 Grad angestiegen. Der heiße Wind und der treibende Sand schnitten uns ins Gesicht, und jedes Mal, wenn wir zum Auftanken anhielten, rieben wir uns mit Öl ein.
     Am dritten Tag sahen wir die Sierra Nevada vor uns, und der Aufstieg begann. Die Luft kühlte ab, als wir uns der Passhöhe näherten, und schon dehnte sich die prächtige Bergkette in ihrer ganzen Länge vor unseren Augen us. Plötzlich blickten wir aus großer Höhe hinab und entdeckten in der Ferne zwischen zwei Bergspitzen den Silbersee. Greta wurde sehr aufgeregt. „Da ist unser See, und da, die kleine Insel in der Mitte, das ist unsere Insel.“
     Der See war etwa 23 Kilometer lang und fünf Kilometer breit. Die Insel lag vielleicht einen knappen Kilometer vom Westufer entfernt. Wir hielten an einem kleinen Bootshaus an, wo James uns half, den Proviant ins Boot zu verladen. Dann schickte Greta ihn weg und wies ihn an, nicht vor sechs Wochen zurückzukommen. „Wenn Sie eine Sekunde früher erscheinen, werfe ich Sie in den See. Und denken Sie daran; keiner darf erfahren, wo wir sind, nicht einmal Whistler, und schon gar nicht Louis B. Mayer!“ „Nein, Ma'am“, gab James feierlich zurück, stieg wieder ins Auto und machte sich mit fünfunddreißig Kilometer pro Stunde auf den langen, beschwerlichen Heimweg nach Hollywood.


Eine Insel in der Sierra Nevada

     Wir kletterten ins Boot, und Greta ergriff die Ruder. Ich war erstaunt, wie gut sie ruderte. „Hast du mit der Oxford-Mannschaft trainiert?“ fragte ich. Sie ruderte weich und gleichmäßig in den Schatten des Berges, der sich im Wasser spiegelte. Gretas beständiger Ruderschlag brachte uns bald auf unsere Insel. Um uns herum erhoben sich die schneebedeckten Berge wie die Zacken einer Krone. In majestätischer Gelassenheit standen sie da und gaben uns das Gefühl, die unbedeutendsten Flecke im göttlichen Kosmos zu sein.

     Bis aus das Klatschen des Wassers gegen den Steg herrschte totale Stille. Dann hörten wir weit weg, vom entferntesten Ufer, den Schrei einer Eule. Greta stand regungslos und lauschte. Da ich um die Abergläubigkeit der Skandinavier wusste, beruhigte ich sie: „Hier oben kann es kein Unheil geben. Die Eule da heißt uns nur höflich willkommen.“ Sie sah erleichtert aus, und wir vergaßen den Zwischenfall.
     Wie soll ich die folgenden sechs zauberhaften Wochen beschreiben? In dieser ganzen Zeit gab es nicht eine einzige Sekunde von Disharmonie zwischen Greta und mir oder in der Natur um uns herum. Es hat nicht einmal geregnet, wir hatten jeden Tag strahlenden Sonnenschein. Wir erlebten einen Neumond und sahen zu, wie er allmählich voll wurde und Berge wie Wasser mit Silberglanz überzog und den Schnee auf den entfernten Berggipfeln in glitzerndes Kristall zu verwandeln schien.
     Das Häuschen hätte nicht schlichter sein können. Es war nur eine Blockhütte, aber sie war sauber und ordentlich und hatte nach allen Seiten Fenster. Greta sagte: „Wir müssen auf der Stelle getauft werden.“ Sie warf ihre Kleider ab, stürzte sich mit brillantem Kopfsprung ins Wasser und entfernte sich mit den langen, kräftigen Zügen eines ausgezeichneten Schwimmers. „Erst finde ich dich beim Training für die Oxford-Mannschaft, und jetzt trainierst du für die Durchquerung des Ärmelkanals. Gibt es eigentlich gar nichts, was du nicht gut machst?“ Sie winkte mir von weit draußen, und ihr Lachen schallte über den See. Ich sprang auch hinein – kein Meistersprung, kein Kanal-Rekord-Kraul. Das Wasser war eiskalt, ich musste mich fortbewegen, um nicht zu erfrieren.


Furcht vor den eigenen Filmen

     An jenem Abend kochte sie das Abendessen. Unterwegs hatten wir Bergforellen gekauft. Sie zerlegte sie und kochte wunderbaren starken Kaffee, wie ihn Spanier und Schweden mögen. „Nichts von dieser amerikanischen Heißwasser-Brühe“, sagte sie und fügte stolz hinzu: „Ich mache guten Kaffee.“
     Man sagt im allgemeinen von Greta, sie sei ernst und mürrisch. Das ist ein Bestandteil der Legende, die um sie gesponnen wurde. Alle Legenden beruhen auf Gerüchten und Hörensagen. Natürlich ist sie ernst, wenn die Situation Ernst erfordert, und läuft nicht mit einem breiten Grinsen im Gesicht herum, wie es die meisten amerikanischen Führungskräfte tun. Aber das heißt nicht, dass sie mürrisch ist und keinen Humor hat. Ganz im Gegenteil. Während der sechs Wochen am Silbersee und noch oft danach hebe ich ihren Sinn für Spaß kennengelernt.
     Greta war 13 Jahre lang, von 1925 bis 1938, bei Metro-Goldwyn-Mayer engagiert, bis man entdeckte, dass sie auch lustige Rollen spielen konnte, und auf diese Entdeckung hin brachte man sie ganz groß in „Ninotschka“ heraus. Aber sie kann mehr als einfach lustige Rollen spielen. Sie kann sowohl Komödie als auch Schwank spielen und den Clown mimen, wann immer sie will. Es ist wirklich schade, dass Greta in all den Jahren nur tragische Rollen bekam. Hätte man ihr heitere und belustigende Rollen gegeben, wäre sie vielleicht noch beim Film. Wer kann es schon ewig ertragen, gequälte, deprimierte, traurige Gestalten zu spielen? Bestimmt nicht eine sensible Künstlerin wie Greta, die ihre Rollen nicht spielt, sondern meiner Ansicht nach in sie hineinwächst und sie tatsächlich jede Sekunde lebt.
     Kein Mensch kann Greta wirklich kennen, der sie nicht so erlebt hat, wie ich sie am Silbersee erlebt habe. Sie ist ein Geschöpf der Elemente. Ein Geschöpf des Windes und der Stürme, der Felsen, der Bäume und des Wassers. Eine Seele wie die ihre in einer Stadt eingesperrt zu sehen, ist ein tragischer Anblick. Dort in der Sierra Nevada kletterte sie immer vor mir über die Felsen. Mit ihrem wehenden Haar und ihrem Wind und Sonne zugekehrten Gesicht sprang sie auf ihren nackten Füßen von Stein zu Stein.
     Oft ruderte sie mich über den See zu einem Holzfällerlager, ein paar Kilometer entfernt. Dort kauften wir Milch und Eier und sprachen mit den Holzfällern, die uns für Schulmädchen in Ferien hielten. Nachts nahmen wir des öfteren das Boot und ließen uns in phantastischer Stille einfach zwischen den Bergen treiben, die sich dunkel um uns herum auftürmten.


Ich kann nicht nach Hollywood!

     Irgendwie liefen sechs Wochen, die sechs Minuten schienen, ab und näherten sich ihrem Ende. Wir hatten Uhrzeit und Datum völlig vergessen. Fast glaubten wir schon, wir würden nie wieder in die Zivilisation zurückkehren. Doch dann tönte eines Tages James' Hupe über den See. Greta wurde leichenblaß. „Ich kann nicht – ich kann nicht zurück nach Hollywood und zu diesem Studioleben!“ rief sie verzweifelt.
     Aber wir packten unsere Sachen und stiegen wortlos ins Boot. Langsam ruderte sie zum anderen Ufer.
     Ich beobachtete Greta bei den Dreharbeiten zu all ihren Filmen mit Ausnahme von „Anna Christie“, und mir fiel auf, dass sie sich nie geistig mit einem Film auseinandersetzte. Im Gegensatz zu anderen Schauspielerinnen arbeitete sie nicht an dem Drehbuch oder plante im voraus, wie sie eine bestimmte Szene spielen wollte. Ich glaube, es wäre korrekter zu sagen, sie brütete über einer Szene oder einer bestimmten Situation, die sie spielen sollte. Sie las ein Drehbuch niemals gründlich durch, bevor der erste Drehtag kam und sie vor die Kamera trat und die Figur wurde. Sie pflegte das Manuskript nur zu überfliegen, doch erfasste sie intuitiv, um was es im Wesentlichen ging. Ich hatte bei diesen Gelegenheiten immer den Eindruck, dass ihr, hätte sie den Text sorgfältig gelesen und durchgearbeitet, die eigentliche Bedeutung eher völlig verlorengegangen wäre.
     Wie die Duse hat sie sozusagen eine lebhafte Intuition. Greta wurde praktisch nie in einer Szene gelenkt. Sie trat vor die Kamera, und da sie die Figur, die sie spielen sollte, kannte, wurde sie ganz einfach und vollkommen diese Figur. Sie mimte oder spielte nicht, wenn sie in diese Figur hineinschlüpfte, sie war sie. Wie die Duse konnte sie bewirken, dass die Figur vor aller Augen lebendig wurde und lebte.
     Sehr wenige Leute außerhalb des Studios wussten, dass sie niemals zu der ersten Vorführung ihrer Szenen ging. Vermutlich befürchtete sie – hätte sie sich auf der Leinwand gesehen – irgendeinen Mythos zu zerstören, den sie sich selbst in ihrer Psyche aufgebaut hatte. Sie ging auch nie zu den privaten Vorführungen ihrer Filme. Erst Jahre nach ihrer Fertigstellung sah sie sich sie an und litt dann meistens schrecklich, weil sie stets überzeugt war, dass sie es hätte besser machen können.
     Zu dieser Zeit ging ich oft zu Thalberg, um mich mit ihm über „Desperate“ zu beraten und ihm die verschiedenen Szenen zu zeigen, die ich im Laufe der Zeit schrieb. Als ich zu der Szene kam, in der sich Greta wie ein Junge kleiden sollte, protestierte er energisch und sagte, sie könne unmöglich in Männerkleidern auf der Leinwand erscheinen. „Wollen Sie ganz Amerika und sämtliche Frauenvereine gegen sie aufbringen? Sie müssen übergeschnappt sein.“ Auf meinen Einwand hin, dass Greta diese Szene kenne und sie im Drehbuch haben wolle, erwiderte er: „Sie muß auch übergeschnappt sein. Die Szene kommt einfach nicht rein. Ich bin in diesem Geschäft, um mit Filmen Geld zu machen, und ich lasse mir diesen hier nicht ruinieren.“ Ich konnte nichts bei ihm erreichen, und die Szenen wurden gestrichen.


Die Freiheit des Mr. Mayer

     Sie ging nie in Nachtlokale und gestattete nie Produzenten und Regisseuren, ihre geschäftlichen Beziehungen zu ihr zu überschreiten. Ich erinnere mich gut daran, als Louis B. Mayer ihr einmal einen riesigen Korb mit Blumen schickte. Als der Blumenlieferant damit ankam, wies sie ihr Mädchen an, ihn nicht anzunehmen. Ihr Gedankengang war: „Mit welchem Recht nimmt sich Mr. Mayer die Freiheit, mir Blumen zu schicken?“ Sie hatte nicht die geringste Angst, den Leiter des Ateliers und einen so mächtigen Mann wie Mr. Mayer zu kränken. Ihre Auffassung von Privatsphäre war so eng, dass sie es als beleidigend empfand, Blumen oder Geschenke von jemandem zu erhalten, den sie nicht als Freund akzeptiert hatte. Man hat manchmal von ihr behauptet, sie habe kein Talent zur Freundschaft. Ich Problem ist, dass ihre Ansprüche an eine Freundschaft so hoch sind, dass nur wenige Menschen sie erfüllen können. In ihrer selbstauferlegten Isolation hat sie kein Verständnis für Freunde, die Geselligkeit brauchen und vielleicht an den harmlosen Trivialitäten des Lebens teilnehmen möchten. Für sie – und das ist auch ihr gutes Recht – ist das Leben eine ernst zu nehmende Angelegenheit.
     Sie besitzt eine meiner Meinung nach bewundernswerte Qualität: eine tiefe Aufrichtigkeit, die all ihrem Tun zugrunde liegt. Ich glaube, ihr größtes Problem und das, was sie so unsagbar unglücklich macht, ist ihr tiefverwurzeltes Misstrauen gegenüber Menschen und dem Leben selbst. Greta riskiert wenig.
     Über Greta zu schreiben und alles, was mit ihr verbunden ist, ist die schwierigste Aufgabe, die ich in diesem Buch hatte. Niemand weiß besser als ich, wie unangenehm es ihr ist, wenn man von ihr erzählt, aber ich kann nicht über mein Leben schreiben und sie dabei auslassen. Es ist unmöglich, eine Autobiographie zu verfassen, ohne die Menschen wieder auf die Bühne des Lebens zu bringen, die darin eine Hauptrolle gespielt haben. Sie ist ununterbrochen auf dem Rückzug, und wenn sie einen Schritt unternimmt, bewegt sie sich vorsichtig und quält sich dann mit Vorwürfen in der Überzeugung, etwas falsch gemacht zu haben.

MERCEDES DE ACOSTA

 

 

from:   EMMA     Nr. 5    1979
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