Ich begegnete Greta Garbo
Ein wahres Erlebnis in New York / Von Cécile de Legné
Ich war am Metropolitan-Museum in der fünften Avenue an der 82. Straße mit einem gebürtigen Amerikaner verabredet, der Paris und alles, was mit Frankreich zusammenhing, vergötterte. Ich wiederum hörte ich, gerne zu, weil er auf eine nahezu unnachahmliche Art das Wörtchen l'amour auszusprechen und auch häufig anzuwenden verstand. So war uns beiden mit diesem Rendezvous gedient. Jedoch öffnete das Museum erst um ein Uhr es war Sonntag und ich ging, die Zeitz hinzubringen, noch ein wenig im Central-Park spazieren. In der fünften Avenue glitten zu dieser Zeit nur wenige lautlose Limousinen vorüber, und auch im Park war es fast menschenleer; es war kurz vor Weihnachten, und der Wind blies unfreundlich über die braunen Rasenflächen hin. Nur die beliebten, in keinem amerikanischen Park fehlenden Eichhörnchen, squirrels genannt, hüpften heiter über die Wege und äugten mich als einen der wenigen Passanten neugierig an.
Auch ich äugte umher. Und da gewahrte ich ein Paar, das mir auf dem gewundenen Parkweg entgegenkam und dem man schon von ferne in Haltung und Gang vornehme Zurückhaltung ansah. Der Herr mit den berühmten weißen Schläfen breitschultrig, distinguiert, zwischen 50 und 60 etwas, aufrecht, in tadellosem Paletot, führte einen Scotch an der Leine und hatte den Kopf in höflicher Aufmerksamkeit seiner Begleiterin zugewendet.
Diese blickte geradeaus; anscheinend fühlte sie sich durch seine Unterhaltung nicht gerade elektrisiert. Sie war ganz in dunkelblau gekleidet, ohne den sonst unerläßlichen, lose fallenden Nerzpelz, die Farbenfreudigkeit oder die zahllosen, glitzernden Straß-Klipps, die sonst die Amerikanerinnen trugen. Völlig unauffällig, aber durch die betonte Unauffälligkeit auffallend! Der Mantel sportlich, tadellos im Schnitt, schlank die Linie mit reichen Rückenfalten, und das Material schon von weitem als Qualität Ia zu erkennen. Der Hut, auch aus dunkelblauem Filz Himmel, wo hatte ich doch nur diese Kappe schon einmal gesehen? Streng anliegend an Stirn und Schläfen, dann aber aufgetürmt zu einer Art von eleganter Tüte. Gewagt bis zur Grenze, aber eben diese Grenze genau respektiert!
Ah, da fiel mir ein: im Film Ninotschka, den ich zwei Tage zuvor noch im Gramercy-Theater gesehen hatte, diesmal auf englisch, nachdem ich ihn in Europa schon dreimal besucht hatte, richtig, diese Kappe war es! Aber ehe ich mich noch von meiner Verwirrung erholen konnte, geriet ich in einen anderen Bann: die Haltung der Dame faszinierte mich. Es ging eine seltsame Ausstrahlung von ihr aus, kühl, straff, ein wenig hochmütig fast. Wenn sie nicht die hochhackigen, amerikanischen Schuhe mit freier Zehe und freiem Absatz (im Dezember!) getragen hätte, würde ich sie unweigerlich für eine Europäerin gehalten haben! Mein Gott, und wie sie der Garbo ähnlich sah.
Nun war mir das Paar schon zu nahe gekommen, als daß ich den beiden noch hätte ins Gesicht starren können. Gerade wollte ich vornehm beiseite schauen, da hüfte ein kleines, graubraunes Eichhörnchen sensationslüstern mitten auf den Weg und machte genau zwischen mir und den beiden Fremden sein Männchen! Ich blieb stehen, das Paar blieb stehen. Plötzlich sprang das Eichhörnchen in rasendem Satz auf den nächsten Baum und keckerte ärgerlich von dort herab, der Hund kläffte, der Herr zog stumm an der Leine und die Dame lachte. Sie lachte mit einer hinreißenden Natürlichkeit, legte den Kopf wie ein übermütiger Junge etwas hintenüber und zeigte eine Reihe blitzendweißer Zahnpasta-Reklame Zähne.
Ich ging zum Museum und fand meinen Partner draußen auf der breiten Treppe wartend. Wir suchten die Säle mit den französischen Impressionisten. Doch noch ehe wir sie erreicht hatten, begann mein Begleiter mit in seinem singenden Französisch in geradezu sich überstürzenden Kaskaden zu berichten, daß er gestern mehr als 20 Minuten in der Nähe Greta Garbos geweilt habe. Er sei hinter ihr hergegangen, als sie in der fünften Avenue in das eleganteste Lederwarengeschäft eingetreten sei. In Begleitung eines Herrn mit weißen Schläfen? fragte ich atemlos. Jawohl. Aber wieso? Ich berichtete mein Erlebnis. Und mußte zu meiner Bestürzung hören, daß es wirklich die göttliche Garbo gewesen war, von der mich ein Eichhörnchen und meine eigene Unwissenheit getrennt hatten! Sie war, wie es auch in der Zeitung zu lesen gestanden hatte, in einem Appartement am Central-Park abgestiegen und hielt sich einige Tage in New York auf, um Weihnachtseinkäufe zu machen.
Mein Franzosenfreund und ich, wir stürzten wortlos aus dem Museum, ließen alle herrlichen Bilder der Welt hinter uns hängen, und suchten den ganzen großen Central-Park ab. Aber wir fanden sie nicht mehr. |