Tatsächlich – hinter diesem
Schirm
befindet sich die „Göttliche“.
Sie ist wieder einmal auf der Flucht
vor der aufdringlichen Kamera.
Greta Garbo – privat
Ist es denn ein Wunder,
wenn ich so scheu wurde, wie ich bin?“
Stellen Sie, ja ich meine Sie, stellen Sie sich vor: Sie kommen abends heim. Müde und abgekämpft; sehnen sich nach Ruhe; niemand stört sie. Das Rindfleisch schmeckt herrlicher denn je. Da klingelt's. Ein Herr will Sie unbedingt sprechen. Weshalb? Wegen eines Klubbeitrages oder so. Ehrlich: würden sie nicht vor Wut zerplatzen?
Wenn aber ein Filmstar wie Greta Garbo verzweifelt fleht: „Laßt mich doch bitte ungestört! Ich brauche meine Ruhe!“, so setzen sich Zeitungsleute aller Länder hin und verfassen wissenschaftliche Abhandlungen über die höchst bedenklichen Einsamkeitstriebe der Göttlichen. In Wirklichkeit ist Greta Garbo ebenso menschenfreundlich wie Sie und ich.
Greta besitzt einige gute, sogar sehr gute Freunde. Die reden nicht über Film und Weltruhm. Die ruft sie an und ladet sich bei ihnen ein. Da sitzt sie und nippt an einem Sherry und raucht und unterhält sich. Und freut sich ihres Lebens. Nur, wenn sie merkt, daß irgendein Fremder sie belästigen will, und die scheue Schwedin fühlt sich rasch bedrängt, dann steht sie auf und verschwindet. Wie Sie und ich.
Aber wie wickelt sich denn sonst ihr Alltag ab, wenn sich nicht filmen muß? Morgens: Post, Post, Post aus aller Welt. Autogrammbitten, gescheite und naive und unverschämte Anfragen, Filmmanuskripte, Bettelversuche, Liebesbriefe. Ein Klub wünscht ihre Ehrenmitgliedschaft. Eine Firma will ihre Ware als „Greta-Garbo-Heringe“ verkaufen. Ein Waisenhaus bittet um ihre Patenschaft und ihren Besuch. Einer fragt, ob sie mit ihm durch die Welt zu Fuß wandern will. Ein Poet besingt sie, wobei er sie wegen des Reimes auf „Tête à Tête“ in Grete umtauft. Ein Irrer will ihr Sklave werden. Es schreiben Weltfremde und Gauner, Mütter und Verliebte, Zyniker und Erfinder.
Die Masseuse ist da. Die Friseuse wartet. Das Frühstück ist serviert. In der XY-Abendzeitung ist ein Angriff auf ihre Freundschaft mit einem Mann den sie noch nie gesehen hat. Der Wagen steht bereit. Der Diätdoktor ist da. Ein neuer Packen mit bestellten Büchern ist endlich eingetroffen. Ihre Freundin aus New York ist am Telephon. Sie soll die Ausschnitte der Weltpresse überfliegen. Der Kaffee wird kalt. Ein Abgesandter ihrer Mutter aus Stockholm sitzt im Musikzimmer. Der Anwalt braucht eine Unterschrift. Der Kaffee ist kalt.
Sie fährt aus. Ihr Wagen ist stadtbekannt. Also steuert sie woanders hin. Sie betritt einen Laden. Will einmal untertauchen. Als Unbekannte von Abteilung zu Abteilung pilgern. man stößt sie an. Man stößt sie an. Man bedrängt sie. Greta verschwindet. G reta sucht ein Restaurant auf. kaum taucht sie auf, geht's los. Der Ober raunt's dem Wirt zu. Der Wirt den Gästen. Gäste stieren sie an. Als ob sie im Kino sitzen. Lacht die Garbo wie die Ninotschka im Leben? Ißt sie wie als Königin Christine? Fisch? Ach? Also ist die Geschichte mit ihrem Diätdoktor doch wahr! Und dann bittet eine Fünfjährige um ein Autogramm. Wer kann einem so süßen Knix widerstehen? Es ist das Signal zum Anmarsch des halben Restaurants. Autogramme, Autogramme. Photokästen blitzen auf. Und die Bouillon wird kalt. Und der Fisch auch.
Wenn Greta erst auf die Kateridee kommt, mit einem Freunde auszugehen! Die Presse berichtet über die nächste Liaison. Und wenn sie sich einredet, sie könne mit ihrem Partner auch nur ungestört einen Satz vollenden, so irrt sie sich, denn schon erscheint ein Interviewer oder ein Filmproduzent oder ein Freund einer Freundin. Wer hält diesen Ansturm einer begeisterten Masse auf die Dauer aus? Ist es ein Wunder, wenn Greta Garbo so scheu wurde?
Nachmittags pflegte Greta ihren Schlaf abzuhalten. Nur ein halbes Stündchen. Die Glocken sind längst abgestellt, und eine erprobte Wache steht bereit, aber einen ehrgeizigen Eisschrank- oder eine Pressevertreter glückt es schon, die Absperrungen zu durchbrechen, vor allem, wenn die Diva auf reisen ist. Greta Garbo ist durch Erlebnisse so misstrauisch geworden, daß sie sich bei ihrer Ankunft erst einmal ihr Hotelpersonal vorstellen läßt, damit nicht wieder ein Zeitungsmann in der Maske eines Oberkellners zu ihr vordringen kann. Greta Garbo hat noch aus ihren Anfangszeiten, da die Presse recht ruppig mit ihr umsprang, eine Angstpsychose gegen alles, was mit Zeitungen zu schaffen hat. Diese Furcht reizt natürlich jeden Reporter. So spielen die Journalisten mit ihr Versteck. Da helfen ihr keine Sonnenbrillen, keine billige Baskenmütze und auch kein noch so breiter Strohhut. da helfen ihr keine Namen wie Mrs. Summers oder Madame Vieulle. Ist sie einmal erkannt, so lauern die Journalisten auf den Feuertreppen und verfolgen sie, bis sie sie gestellt haben.
Am Nachmittag zieht sich Greta Garbo gewöhnlich in ihre Bibliothek zurück. Sie bevorzugt neben den Dichtern ihres Heimatlandes die modernen amerikanischen Dramatiker. Sie liebt Dostojewski und Tolstoj. Sie verehrt Anatole France und Zola. Sie hat über 2000 deutsche Bücher – von Geibel über Rilke bis Zuckmayer, Jünger und sogar Heidegger. O ft sah man sie mit einem Auserwählten mehrmals. Die Gerüchte mögen übertrieben haben, aber Greta Garbo widmete sich jedes Mal dem Freunde mit all ihren Sympathien. Dann kümmerte es sie nicht, was die Leute um sie sagen mögen, antwortet nicht, was die Presse auch drucken mag. Dann lebt sie. Man sieht sie mit dem Partner beim Eishockey. Kur darauf taucht sie bei den Salzburger Festspielen auf, dann sitzt sie irgendwo im Parkett und lauscht dem Freunde. Dann geniert sie sich auch nicht, in die Debatte einzugreifen und sich öffentlich für seine Lehre einzusetzen. Und dann geht eine solche Liebe zu Ende. Greta Garbo zieht sich zurück. Niemand kann mit Gewißheit sagen, ob sie unglücklich ist. „Einmal“, so erzählte sie neulich im vertrauten Kreise, „nahm ich auf einer meiner Fahrten durch Schweden einen jungen Studenten, der auf der Landstraße winkte, mit. Wir kamen ins Gespräch. Über Politik. Ich war froh, daß ich endlich einmal mit einem jungen Manne offen plaudern durfte, ohne daß er sich durch meine Weltberühmtheit zum Reden mit frisiertem Munde verleiten ließ. Der Student hatte glücklicherweise keine Ahnung, wer ich war. Offenbar hielt er mich für ein reiches Schwedenmädchen. Wir aßen in einem Dorfrestaurant zusammen. Ich genosst den Urlaub von der Popularität. Wir fuhren weiter. Kurz vor seinem Ziel bot ich ihm eine Zigarette an. Der Student nahm sie und steckte sie sich in seine Tasche. Ich fragte ihn: ‚Rauchen Sie den nicht?' Schon im Aussteigen antwortete mein junger Landsmann: ‚Ja, sehr gern sogar. Aber diese Zigarette werde ich nicht rauchen. Die behalte ich als Andenken an Sie, Greta Garbo.'“
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